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Stolz wie Oskar

■ Porträt eines Quereinsteigers: Vom Pianisten in einem Stripteaselokal zum Redakteur der "Süddeutschen Zeitung"

Sabine Christiansen hat's getan, Heribert Prantl auch: sie sind aus einem anderen Beruf in den Journalismus gekommen. Christiansen war Stewardeß, bevor sie die Tagesthemen moderierte, der ehemalige Richter Prantl zerpflückt heute in Leitartikeln der Süddeutschen Zeitung die Gesetzgebung zu Schwangerschaftsabbruch und Asylrecht.

Weil der Beruf des Journalisten an keine formellen Voraussetzungen gebunden ist, gilt er immer noch als klassischer Quereinsteigerberuf – auch wenn die Quereinsteiger, die aus einem anderen Beruf kommen, die Ausnahme sind, heute noch mehr als früher. Chancen haben Quereinsteiger im Journalismus besonders dann, wenn sie die knapp zweijährige Ausbildung einer Journalistenschule durchlaufen haben. An der Deutschen Journalistenschule in München gaben sich schon Verwaltungsbeamte, Polizisten, Sozialarbeiter und Taxifahrer die Schreibmaschine in die Hand.

Über die Akademisierung des Journalismus kann er sich in Rage reden: „Das ist ganz fürchterlich“, schnaubt er in seinen Walroßbart, „diese geklonten Universitätstypen haben doch gar kein Gefühl für den Leser.“ Charly Forster, Jahrgang 1950, hat dieses Gefühl. Und er ist kein geklonter Universitätstyp, sondern einer, der nach einer langen Odyssee zu seinem und anderer Glück im Journalismus gelandet ist.

Abgeschlossenes Studium oder gar eine Promotion konnte Forster seinem Arbeitgeber, der Süddeutschen Zeitung, nicht vorweisen. Nicht einmal Abitur – dafür Lebenserfahrung für zwei. Mit seinen kurzgeschorenen Haaren, dem wetterfesten, rötlichen Gesicht und der stämmigen Statur sieht er aus wie ein etwas aus der Form geratener Fremdenlegionär. Und die Fremdenlegion ist vielleicht das einzige, was in seiner Biographie noch fehlt. Denn an einem ereignisreichen Leben mangelt es Charly Forster durchaus nicht.

Geboren wurde er in Niederbayern, nach jahrelangem Unterricht durch Benediktinermönche begann für ihn mit dem Tod seines Vaters sein „unaufhaltsamer Abstieg“, wie er sagt: Die zwölfte Klasse bricht er vorzeitig ab, „wegen Liebeskummer und einer Sechs in Griechisch“. Der Münchener Künstlerdienst vermittelt den Pianisten in ein Stripteaselokal nach Basel – immer noch besser als der Mannheimer Sexschuppen, in dem er kurz darauf als Musiker landet. Dort fliegt er nach einer Prügelei mit dem Schlagzeuger raus, bewirbt sich am Richard-Strauss-Konservatorium und wird aufgenommen. Nach dem dritten Semester holt ihn die Bundeswehr, er verpflichtet sich – wegen des Geldes – für sechs Jahre, kommt auf die Hubschrauberpilotenschule. Nach einem Vortrag über Kriegsdienstverweigerung läßt er sich zurückstufen und ins Bundeswehrkrankenhaus versetzen, macht dort eine Ausbildung zum Krankenpfleger.

Ab 1973 arbeitet Charly Forster in einem Münchener Krankenhaus, lernt dort Patienten aus der geschlossenen Psychiatrie kennen. „Da gab es Elendsfälle – das war damals das Kuckucksnest hoch drei“, sagt Forster. Den ganzen Sommer über geht er segeln in der Ägäis, im Winter arbeitet er. „Es war toll – aber nach drei Jahren wollte ich keine Ärsche mehr putzen.“ Wieder schmeißt er alles hin, wird Taxifahrer. „Ich war kurz vor dem Versacken“, gesteht Forster. In einer Münchener Kneipe spricht ihn ein Mädchen vom Niederrhein an. Sie ist auf der Journalistenschule und muß ein Porträt über eine bayerische Bedienung schreiben, versteht aber kein Wort Bayrisch.

Forster soll übersetzen. Forster übersetzt – und schreibt der Einfachheit halber das Porträt gleich selbst. Das Werk wird von der Schulleitung hoch gelobt. Forster bewirbt sich für die nächste Lehrredaktion an der Journalistenschule am Altheimer Eck und fliegt gleich in der ersten Runde raus. „Von da an aber hab i gwußt, des daugt mer“, sagt Forster. Eine Kritik über ein Klavierkonzert von Mozart gibt er ungefragt an der Pforte der Süddeutschen Zeitung ab, Aufschrift: „Ans Feuilleton“. Drei Tage später ruft ihn der Feuilletonchef an: „Darf man das drucken?“ Man darf. Forster: „Ich hab' mir einen Rausch angesoffen und war stolz wie Oskar.“

Er schreibt immer wieder für die Süddeutsche Zeitung, über Rockmusik, kommt 1979 beim zweiten Anlauf auf die Journalistenschule, geht danach zur benachbarten Abendzeitung, wird 1987 von der Lokalredaktion der Süddeutschen Zeitung abgeworben und ist seit Januar dieses Jahres dort Redakteur in der „Münchener Kultur“. Sein Traum, mit einem Namensartikel auf der Seite drei der Süddeutschen zu stehen, hat sich längst erfüllt. Und auch privat zeigte sich ihm der Journalismus hold: Seine Freundin lernte er bei einem Interview kennen.

Forster sieht sich als Allrounder. Als Reporter nimmt er sich besonders sozialer und medizinischer Themen an. Die Erfahrungen aus dem Krankenhaus haben den ehemaligen Pfleger nicht mehr losgelassen, ob er nun über die Hamburger Behindertenband „Station 17“ oder über den Zusammenhang von sexuellem Mißbrauch und Magersucht berichtet. Das gilt auch, wenn er für Journalistenschüler ein Wochenendseminar leitet, über „Psychiatrie und Medien“. Für solche Themen „hab' ich ein ganz anderes G'fühl“, sagt Forster, und darauf ist er auch stolz.

Von der „gewissen Arroganz, die vielen Journalisten eigen ist“, will er sich deshalb nicht ausschließen. Denn er, der früher wegen seiner fehlenden Qualifikation Minderwertigkeitskomplexe hatte, fühlt sich heute anderen Journalisten gegenüber „subjektiv überlegen“, weil sie Erfahrungen wie er nie gemacht haben. „Karrieremäßig war's natürlich Scheiße“, sagt Forster. „Für eine g'scheite Stellung hab' ich keine Chance, ohne Abitur, Studium und relativ alt. Aber ich möcht' keine Minute missen.“ Dietmar Hipp

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