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Weser-Riviera?

■ Der Unterweserraum im Expo-Fieber / „Maritime Potentiale im Wesertourismus“ – ein Workshop an Bord der „MS Hanseat“

Heraus aus den Puschen, ihr Schlafmützen, ihr Bremer und Unterweserraumsiedler! Schnauze, ihr Miesmacher, in-die-Suppe-Spucker und Querulanten! Es ist 5 vor 12, sprich kurz vor 2000, da gibt's nichts mehr zu lachen! Richtig: Deadline Expo 2000 – wer sich sein Stück vom Expo-Kuchen abzuschneiden verpaßt, erlebt einen Fehlstart ins nächste Jahrtausend, den er womöglich nicht überlebt!

Wer eine Vorstellung davon besitzt, was es heißt, einen mißbrauchten Pavillon in den Bremer Wallanlagen zu einer schmucken Attraktion umzuwandeln, hat vielleicht eine blasse Vorstellung von der Aufgeregtheit, die langsam, aber sicher die gesamte Unterweserregion packt. 30 Millionen Expo-Besucher – alle mit lockerem Geld in der Tasche. WIE KOMMT DAS GELD NACH ELSFLETH? Das war NICHT der Titel eines Workshops auf der MS Hanseat, zu dem sich am vergangenen Donnerstag eine erstaunliche Kombination von Menschen traf: „Maritime Potentiale im Wesertourismus“ hieß das Thema, eingeladen hatte der Senator für Umweltschutz und Stadtentwicklung, und gekommen waren Fahrradfreunde und Parkplatzbefürworter, Busunternehmer und Spaceparkplaner, grabenkrieggeübte Grüne und Gelbe, coole Städter und Umland-Underdogs sowie Kulturschaffende und ein Mäzen.

Heißt das Aufputschmittel dieser geballten Schiffsladung Tourismusinteressierter „Expo 2000“, so ist ihr goldenes Kalb der „Weserbus“. Ein schnelles Passagierschiff auf der Weser als schicke ÖPNV-Aufmotzung – das war so lange eine schöne Idee in den Köpfen des Bremerhavener Design-Labors und Bremer Stadtentwickler, bis Gutachter errechneten: viel zu teuer für Bremen und seine Berufspendler. Doch der Weserbus soll leben, und darum wird jetzt ein neues Gutachten erstellt, um seine Tauglichkeit zumindest für den Wesertourismus zu beweisen. Das Gutachten trägt den Titel des Workshops (“Maritime Potentiale im Wesertourismus“).

Der flotte Tragflügler (Stückpreis 4 Millionen, dafür Bremen-Bremerhaven in eineinhalb Stunden) wurde an Bord der „Hanseat“, die für denselben Weg den ganzen Tag brauchte, zum alle verbindenden Symbol. Enorme Hoffnungen setzt zum Beispiel die Tourismusförderung im Kreis Wesermarsch in den Wasserbus. „Was weiß Bremen von Butjadingen? Wer spricht über die Region Unterweser?“ rief etwa Jürgen Czielinski (Landkreis WSM) milde verzweifelt aus. Es gibt unerlebte Erlebnisse in Elsfleth wie das Binden von Heukränzen oder die Aalzucht! Es gibt Besonderes in Brake wie einen letzten Schnürboden! „Es ist alles da – es muß nur vermarktet werden!“

Daß alles schon da sei, bezweifeln zumindest zwei: die Vertreter der Ami-Großprojekte Space-Park (Bremen) und Ocean-Park (Bremerhaven). Herr Wilke von der Deutschen Aerospace (“Ich hoffe, daß wir hier mit Sicherheit eine Wechselwirkung starten“) sieht sie schon hin- und herflitzen, die mit zahlungskräftigen Expobesuchern vollgestopften Weserbusse, zwischen seinem Astronautentraining in Gröpelingen und dem Maritim-Eldorado in Fishtown. Think big! heißt die Losung bis 2000, und von den Amis lernen heißt Touristen melken lernen. „Die Kreativität der Amerikaner ist mit Begeisterung zu beobachten“ (Wilke). Auch Oceanpark-Promoter Sigismund von Dobschütz hat die Großkotzigkeit von den Amis gelernt. Die Massen werden den darbenden Standort Bremerhaven überschwemmen, sich ins Großaquarium (“amerikanische Dimension“) ergießen, im discovery pavillon die „Relation der Menschheit zum Wasser“ erleben und sich über die Rettung aussterbender Fische freuen. „Hier dominiert die Natur! Hier dominiert der Fisch!“

Der ranke Ubbo Voss, Kurdirektor (Butjadingen), erhofft sich vom Weserbus gar, daß endlich eine schmerzhafte Bremer Rechtslastigkeit aus der Welt kommt: „Die Bremer sind zu rechtsseitig orientiert – WIR sind die Bremer Küste!“ Doch auch der Fischereihafen in Fishtown (rechtsseitig) drängelt, hat er doch jüngst ebenfalls reichlich Erlebnisraum rund um den Fisch geschaffen – plus Gastronomie plus demnächst auch ein Aquarium.

Und wer ist der natürliche Partner all dieser Aquarien und des Spaceparks? „Das Überseemuseum ist ihr natürlicher Kooperationspartner“, sprach Chefin Viola König, ebenfalls an Bord. Denn auch sie wird, wenn ihr Haus demnächst 100 wird, ein kleines Aquarium eröffnen (mit pazifischen Fischen).

Als schließlich Rolf von Rahden seine Stimme erhob, mochte so manchem auf einmal wieder klar geworden sein, daß man sich doch in recht visionärem Raum bewegt hatte. Von Rahden ist Bremer Busunternehmer und handfest. Ein Weserbus ist für ihn auch nur ein Bus mit hundert Sitzplätzen. Er machte auf ein ganz grundsätzliches Vermarktungsproblem aufmerksam: Die Region, von der den ganzen Tag die Rede war, hat keinen tauglichen Namen! Er kennt das von seine Bustouren nach Genua. Wer will nach Genua? Niemand. Aber heißt es „Blumenriviera“, springen ihm die Leute in den Viersternebus. Nun: welcher Tourist will in die „Unterweserregion“? Allein die Präposition „unter“! Trost brachte auch nicht die Formulierung des hervorragenden Moderators des Workshops, Stefan Boltz (Referent für Bauleitplanung und Stadtentwicklung / Stadt am Fluß): „Region am Fluß“. Da wird das ganze Land geputzt, daß es überall erlebnisorientiert und gastronomieoptimiert blinkt, und das Kind hat keinen Namen!

Hausaufgaben für die maritimen Potentialforscher, die sich im Juni im Cafe Sand erneut treffen wollen. Übrigens hatte man während der Schiffsreise am Donnerstag zwischendurch manchmal den Eindruck, daß die Weser wirklich schön ist. Diesen Eindruck hatte man, wenn man auf Deck stand im Wind, in der Sonne. Auf Deck stehen ist im eiligen Weserbus nicht vorgesehen.

Burkhard Straßmann

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