■ Düstere Gerüchte im Kampf um die Papst-Nachfolge: Enten im heiligsten Viertel
Rom (taz) – Altgedienten Hasen in der Italienberichterstattung kam sofort das kalte Grausen: In dichter Folge begannen Zeitungen und Zeitschriften vor einem Monat ihre Leser mit wilden Gerüchten aus dem heiligsten Viertel Roms zu bombardieren, dem Vatikan. In Sankt Peter, so Epoca, gebe es eine regelrechte Verschwörung gegen den derzeitigen Papst, der nun gar noch um sein Leben bangen müsse; er sei völlig isoliert und habe nur noch eine polnische Nonne als echte Vertraute. Kurz danach wartete der Messaggero mit einem Uraltfall, neu in Szene gesetzt, auf: Danach solle ein vor zwölf Jahren verschwundenes und nie wieder aufgetauchtes fünfzehnjähriges Mädchen namens Emanuela Orlandi, Tochter eines vatikanischen Bankangestellten, plötzlich Lebenszeichen von sich gegeben haben. Sie sei Mutter eines von einem Prälaten empfangenen Kindes und eines weiteren von ihrem derzeitigen Lebensgefährten. Um Emanuela jedoch freizubekommen, verlange eine südamerikanische Terrororganisation umgerechnet an die 35 Millionen Mark Lösegeld.
Doch nicht nur aus der Skandalpresse dampfte Erschröckliches: auch der an sich für Überlegtheit bekannte florentinische Untersuchungsrichter Pierluigi Vigna steuerte einen Obolus zur neuen Aufmerksamkeit für St. Peter bei. Er habe infolge der Zeugenaussagen eines Ex-Gangsterbosses Erkenntnisse, wonach die 1993 begangenen Attentate gegen historische und kirchliche Einrichtungen (darunter der auf den Lateranpalast in Rom, die Titularkirche des jeweils amtierenden Papstes) von der Mafia verübt worden seien: angeblich die Rache für die damaligen ersten markigen Sprüche von Johannes Paul II. gegen die organisierte Kriminalität. Auch das ist freilich ein alter Hut, man konnte derlei Überlegungen schon ausführlich gleich nach den Attentaten hören und lesen, darunter in der taz.
Doch wo von Attentaten die Rede ist, wird einer sogleich ganz hellwach: Ali Agca, der vor gut fünfzehn Jahren trefflich, aber nicht tödlich dem Papste auf dem Petersplatz mit einer Pistole zu Leibe rückte. Er sitzt sein Lebenslänglich in der römischen Strafanstalt Rebibbia ab, glaubt aber dennoch, eine Art Monopol für Enthüllungen aller Art innezuhaben, soferne sie den Vatikan betreffen. Daß da nun etwas herauskommen soll, ohne daß er den direkten Anstoß dazu gegeben hat, wurmt ihn gar sehr.
So wendet sich Agca denn auch „gegen die Instrumentalisierung von Attentaten und die Entführung der Emanuela Orlandi“. Dabei haben die Medien doch nur das wieder herausgezogen, was Agca selbst bereits vor zehn Jahren während seiner diversen Prozesse behauptet hatte (unter anderem in den Verhandlungen zur „Bulgarian Connection“, wo mehrere Konsulatsangestellte wegen des Anschlags auf Karol Wojtyla angeklagt waren, aber freigesprochen wurden). Das Mädchen lebe und führe anderwärts ein normales Leben, und die Eltern und der Papst wüßten das ganz genau. Später sprach Agca nicht mehr davon – da hatte ihn Johannes Paul II. zu einem „Vergebungsgespräch“ in seiner Zelle besucht.
Wie dem auch sei: Vatikanologen sehen in der Welle angeblicher Enthüllungen durchaus einen Sinn – es geht schlichtweg um Weichenstellungen für die Nachfolge von Johannes Paul II. Seit klar ist, daß der Mann schwer krank ist, suchen die diversen Fraktionen der Kurie gute Ausgangspositionen für den nächsten Pontifikat – vorwiegend, indem sie konkurrierende Gruppen zu schädigen suchen.
So könnten die „Enthüllungen“ um Emanuela Orlandi jene Fraktion schädigen, die lange Jahre die berüchtigte Vatikanbank geleitet hat und die ihrerseits in den vergangenen Jahren wieder im Kommen war. Umgekehrt sind Gerüchte über ein mögliches Mordkomplott im Vatikan denn auch vor allem der derzeitigen Papstkamarilla zuzurechnen, die sich um Wojtyla und seinen aus der Bundesrepublik stammenden Chefideologen Kardinal Ratzinger geschart hatte. Die Höflinge müssen fürchten, vom kommenden Oberhirten aller Katholiken schnellstens gefeuert zu werden. Ist der Papst aber in Gefahr, so die Rechnung, müssen sich alle treulich um die engsten Mitarbeiter des Pontifex scharen und können ihre Intrigen nicht weiterführen.
Eine Sache, immerhin, haben die Behörden mittlerweile einigermaßen klären können: Den Versuch, mit dem Namen Orlandi Geld zu erpressen, hat es tatsächlich gegeben. Allerdings war da keine südamerikanische, überhaupt keine ausländische Organisation zugange, auch keine Terroristengruppe, sondern ein Dreigespann aus einem Vorbestraften, einem jungen Anwalt – und einem Priester, der gleichzeitig Chef einer regionalen Caritas-Sektion ist. Sie müssen nun mit einer langjährigen Haftstrafe wegen des Versuchs der Erpressung eines ausländischen Staatsoberhaupts rechnen – theoretisch kann es dafür sogar lebenslänglich geben. Werner Raith
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