: Aufguß alter Pläne
■ Strafverteidigertag warnt vor aktuellen Absichten der Justizminister
Freiburg – Die StrafverteidigerInnen kommen nicht zur Ruhe. Jedes Jahr müssen sie sich auf ihrem traditionellen Treffen, dem Strafverteidigertag, mit neuen Vorschlägen zum Abbau rechtsstaatlicher Garantien in Strafprozessen auseinandersetzen. Dieses mal mußten sich die Anwälte mit einem für die 15 LandesjustizministerInnen erstellten Bericht beschäftigen. „Es handelt sich bei den Vorschlägen des Papier um den x-ten Aufguß der üblichen Vorschläge, die wir nur noch als ,Horror-Liste‘ bezeichnen können“, erklärte der Tagungsvorsitzende, Anwalt Michael Schubert aus Freiburg. Besonders bitter für die Anwälte: Diesmal können sie nicht wie gewohnt gegen die konservative Bundesregierung wettern. Sie müssen die größtenteils sozialdemokratischen JustizministerInnen im gegnerischen Lager verorten. Auch wenn die SPD- Rechtspolitikerin Herta Däubler- Gmelin versuchte, das Papier herunterzuspielen, und auf dessen vorläufigen Charakter hinwies.
Diskutieren wollen die JustizministerInnen über die Einschränkung des Beweisantragsrechts vor EinzelrichterInnen, also im größten Teil der Strafverfahren. Auch in der Berufungsinstanz soll nicht mehr das volle Beweisantragsrecht gelten, da Anträge, die nach Ende der Beweisaufnahme gestellt werden, also etwa als Hilfsanträge im Rahmen des Plädoyers, nicht mehr zulässig sein sollen. Die Anwälte ärgert: Manche Vorschläge führen absehbar zur Verlängerung von Verfahren. Während bisher bis zum Schluß gewartet werden konnte, ob ein Beweisantrag überhaupt erforderlich ist, muß er jetzt vorsorglich gestellt werden.
In dem Einführungsreferat „Perspektiven einer neuen Kriminalpolitik“ hatte denn auch der Frankfurter Strafrechtler Winfried Hassemer seine Kollegen aufgefordert, sich stärker in der Debatte zu engagieren, und den „Hobbykriminologen“ das Feld nicht zu überlassen. Das Strafrecht sei „kein Wundermittel“ für alle gesellschaftlichen Großprobleme, Hassemer forderte, den Ansatz eines neuen Interventionsrechts zu entwickeln. Seine Idee: Durch technische und organisatorische Vorkehrungen sollten kriminogene Situationen von vornherein vermieden werden. So sei die verpflichtende Einführung von Wegfahrsperren bei Pkws viel nützlicher als eine Verschärfung des Strafrechts. Auch beim zunehmenden Phänomen der Korruption sei der Ruf nach dem Strafgericht nur Ausdruck der Hilflosigkeit, der den Blick auf intelligentere Möglichkeiten, etwa die permanente Job-Rotation in schmiergeldrelevanten Behörden, verstelle. Christian Rath
Kommentar Seite 10
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