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Ein Staat namens Saud

Saudi-Arabien, Ölproduzent Nr. 1, leidet unten gierigen Herrschern und bremst den Klimaschutz  ■ Von Raschid Nadim

Zwei Komplizen sitzen in getrennten Zellen im Gefängnis. Gemeinsam haben sie ein Verbrechen begangen. Da Beweise fehlen, greift der Staatsanwalt zu einer List: Der Kronzeugenregelung. Wer gesteht, kommt frei; die Strafe muß der Komplize absitzen. Gestehen beide, gibt es gemeinsamen Strafrabatt. Nur wenn sie kooperieren und keiner gesteht, sind beide frei.

Wie werden sich die Häftlinge verhalten?

Sie werden umfallen. Aus einfachem Grund: Wer leugnet, trägt das volle Strafrisiko. Und selbst wenn der Komplize kooperiert und schweigt, riskiert der Geständige nichts. Er kommt auch dann frei.

Vor dem „Sträflings-Dilemma“ stehen auch die Ölstaaten. Erdöl ist zwar ein unverzichtbares Schmiermittel für alle Industrieländer, aber nicht unbedingt ein knappes. Seit Jahren werden neue Lagerstätten entdeckt, wachsen die nachgewiesenen Reserven. Der Preis des Öls hängt daher von der Kooperation der Erzeuger ab – davon, daß sie nicht „umfallen“, sondern die Förderquoten drosseln und das Angebot verknappen.

Doch auch bei den Ölproduzenten der Opec kann von Kooperation kaum noch die Rede sein. Wer sich an die Absprachen hält, trägt das volle Risiko: schrumpfende Marktanteile, sinkende Einnahmen, klaffende Haushaltslöcher. Seit Jahren müssen die Opec-Staaten überdies erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen. 1980 erlösten sie noch 285 Milliarden Petro-Dollar, 1992 waren es gerade noch 130. Der Anreiz, „umzufallen“ und die Ölhähne aufzudrehen, ist daher denkbar groß. Drastisches Beispiel: der weltgrößte Ölproduzent Saudi-Arabien, vor dessen Küsten und unter dessen Wüsten mehr als 20 Prozent der Weltölreserven lagern. 95 Prozent aller saudischen Einnahmen stammen aus dem Ölgeschäft – was den anhaltenden Widerstand gegen wirksame Klimavereinbarungen auf der Berliner Klimakonferenz erklärt (siehe taz-Interview vom 29. 3.).

Noch immer gilt der durchschnittliche Saudi als unverschämt reich. Die Wahrheit freilich sieht etwas anders aus. Seit mehr als einem Jahrzehnt ist das Staatsbudget defizitär, und der Lebensstandard fällt rasant. Nach Angaben der Weltbank schrumpfte das Pro- Kopf-Einkommen zwischen 1982 und 1992 von 14.700 US-Dollar auf 7.000. Seit Mitte der 80er Jahre klafft jährlich ein 15-Milliarden- Dollar-Krater im saudischen Haushalt. Schuld an der Misere ist die Gier des Königshauses Saud. Die Wüstenmonarchie ist der einzige Staat der Welt, der einen Familiennamen trägt. Und so wird das Unternehmen Saudi-Arabien auch geführt: als Privatholding des Großclans Saud. Politische Parteien gibt es nicht, der Ruf nach demokratischer Mitsprache, Grundfreiheiten oder Menschenrechten gilt als verabscheuungswürdiges Verbrechen. Und selbstverständlich tragen alle Minister den gleichen Familiennamen: Saud.

Staatsoberhaupt, Regierungschef, höchster Gesetzgeber, oberster Richter, Vater der Nation und geistlicher Führer in einem ist König Fahd Ibn Adul Aziz Saud. Phasenweise schob sich der absolutistische Monarch fürstliche 30 Prozent des jährlichen Volkseinkommens von – je nach Ölpreis – insgesamt 45 bis 50 Milliarden Dollar in die majestätischen Taschen. Gegenwärtig sind es bescheidene 15 Prozent, fünf bis sieben Milliarden Dollar per anno. Auch Saud-Könige müssen manchmal sparen.

Das Geld wird dringend gebraucht. Mehr als 7.000 Saud-Prinzen und ein Vielfaches an Ehefrauen, die Zahl der Prinzessinnen ist unbekannt, wollen versorgt sein. Und monatlich wächst der Saud-Clan um mehr als 40 Menschen.

Dem „Who's Who in Saudia Arabia“ zufolge leiten Angehörige des Hauses Saud mehr als 500 saudische Unternehmen, darunter sämtliche Ölfirmen. Da mindestens 70 Prozent des gesamten Wirtschaftsvolumens, so der Saudi-Arabien-Experte Said K. Abburish, über „Provisionsgeschäfte“ abgewickelt werden, fallen für die Prinzen und deren Blutsverwandte jährlich zusätzlich noch einmal drei Milliarden Dollar Bakschisch an. Damit das Land auch künftig eine Privat-Hazienda bleibt, kaufen sich die Sauds politisches Wohlverhalten und militärische Lösungen mit Petro-Dollars. Sie beglichen einen Großteil der Kriegskosten im ersten und zweiten Golfkrieg, bezahlten Jassir Arafat ebenso wie den Top-Terroristen Abu Nidal, den ugandischen Schlächter Idi Amin wie den ägyptischen Friedensvisionär Anwar Sadat. Das Königshaus gibt nach allen Seiten, generös und ohne Ansehen der Person.

Auch die eigene Armee wird aufgerüstet. Weniger gegen äußere Widersacher – dafür ist der Westen zuständig – als gegen undankbare Untertanen. Die Landesverteidigung frißt mehr als ein Drittel des Gesamthaushalts. Allein im ersten Halbjahr 1992 unterzeichnete Saudi-Arabien Rüstungsverträge im Wert von 17 Milliarden Dollar. Im August des gleichen Jahres folgte ein Abschluß über den Kauf von 72 F-15-Bombern. Wert: sechs Milliarden. Daneben gibt es Tauschgeschäfte: Öl gegen Waffen, die im Verteidigungsetat nicht enthalten sind.

So ist Saudi-Arabien gut gerüstet. Derart gut, wie die Experten höhnen, daß es mehr Waffen gibt als Soldaten, die sie bedienen könnten. Ein Beispiel: Die saudische Armee zählt inclusive Nationalgarde rund 105.000 Soldaten. Für sie wurden aber exakt eine Million ABC-Schutzanzüge besorgt – zehn pro Mann.

Das alles kostet Geld. So viel Geld, daß trotz der Förderkosten von oft nur einem halben Dollar pro Faß (159 Liter) saudischen Öls Bares knapp wird. Da man den Westen nicht durch höhere Ölpreise verprellen will, bleibt nur eines: die Erhöhung der Fördermenge. Seit Jahren haben die Saudis ihren Anteil am Weltmarkt für Öl kontinuierlich gesteigert. Von 8,6 Prozent im Jahre 1986 auf heute rund 14 Prozent.

Die legendäre Verschwendungssucht und die politische Abhängigkeit der Sauds garantieren so hohe Förderquoten und niedrige Preise. Ein niedriger Ölpreis aber bedeutet hohen Ölverbrauch, der Anreiz zu sparen fehlt. Läge der Preis pro Barrel heute bei 100 Dollar und nicht bei 17, wäre das Drei-Liter-Auto längst Wirklichkeit.

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