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Strafbare Gesundheitslatschen

■ Karl Birkenstock sieht einfach nicht ein, warum seine berühmten Schuhfabriken einen Betriebsrat brauchen

Sankt Katharinen (taz) – Gesundheitsapostel schätzen Birkenstock-Sandalen sehr. Die Birkenstock-Belegschaft jedoch drückt der Schuh seit langem. Nur wehren darf sie sich nicht. Wegen Behinderung der Betriebsratsarbeit hat die Staatsanwaltschaft Koblenz gestern gegen drei leitende Mitarbeiter der Firma Strafbefehle beantragt. Sie schlägt aber zugleich vor, das Verfahren vorläufig einzustellen, wenn die Beschuldigten Geldbußen von 800 bis 1.200 Mark bezahlen. Ein billiges Angebot, doch um Geld geht es in diesem Fall nicht. Beschuldigt sind die Söhne eines Patriarchen. Und Karl Birkenstock, 56 Jahre alt, ist ein Mann von festen Prinzipien. Letzten Samstag haben Arbeiter und Arbeiterinnen seiner Unterfirma „Birko Schuhtechnik GmbH“ gegen die Schließung ihres Betriebes demonstriert. So etwas gehört sich nicht, schon gar nicht, daß die paar Leute vor den Konzernsitz in Bad Honnef zogen.

Karl Birkenstock hat die Produktion gesunder Schuhe schon seinen drei Söhnen übergeben, um Ruhe vor solchem Aufruhr zu haben. Mit dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft könnte nun auch dieser Plan scheitern. Zwei Jahre lang hat der Firmenherr selber versucht, den Betriebsrat loszuwerden, der in der Birko GmbH gegründet worden war. „Sie werden ganz zu Recht wie Aussätzige behandelt und verachtet“, schrieb er in diesem Jahr an die gewählten Mitglieder dieses rechtmäßigen Gremiums. Das Ende war schon beschlossen. Am 1. Februar las die Belegschaft: „Die vielen Querelen der letzten Monate haben meine Gesundheit so angeschlagen, daß ich mich nicht länger in der Lage fühle, die Produktion in St. Katharinen aufrechtzuerhalten.“

Mit seinen achthundertfünfzig Arbeitsplätzen war die Schuhtechnik GmbH vor zwei Jahren noch der größte Birkenstock-Betrieb gewesen. Der Sandalen-Konzern produziert an sieben Standorten in Deutschland zehn Millionen Paar Schuhe im Jahr. Vor dreißig Jahren hatte Karl Birkenstock das Familienunternehmen übernommen und zu einem Imperium aufgebaut, dessen Jahresumsatz heute auf knapp eine Milliarde Mark geschätzt wird. Achtzig Prozent der etwa zweitausend meist angelernten Arbeitskräfte sind Frauen.

Im April 1993 kam es im Industriegebiet von Sankt Katharinen zu einer Revolution. Die Birko- Arbeiterinnen setzten die Wahl eines Betriebsrates durch. Ein geheimes Treffen mit der Gewerkschaft Holz und Kunststoff steckte dahinter, einundzwanzig Leute stellten sich zur Wahl, am 21. Dezember 1993 fand die erste Betriebsversammlung statt. Der Patriarch spendierte eine Gulaschsuppe, Kritik mußte er sich trotzdem anhören. Der Betriebsrat der mittlerweile zu vierzig Prozent gewerkschaftlich organisierten Firma beklagte Fehler beim Management, das undurchschaubare Prämiensystem und forderte Sonnenschutz am Arbeitsplatz, Pausenbänke vor der Kantine, ordnungsgemäß gefüllte Erste-Hilfe-Kästen und gleichen Lohn für gleiche Arbeit. „Die klatschten wie die Geisteskranken“, erinnert sich die ehemalige Betriebsrätin Regine Melchert. Birkenstock soll den Tränen nahe gewesen sein. Er fühlte sich vorgeführt „wie ein Verbrecher.“

Seltsame Dinge geschahen danach. Teamleiter distanzierten sich vom Betriebsrat, das Prämiensystem wurde abgeschafft, „Umfragen“ tauchten auf, denen zu entnehmen war, die Forderungen des Betriebsrates seien ein „Betriebsschließungsprogramm“.

Im Januar 1994 drohten achtzig Leute unter den Augen der Birkenstock-Söhne Alex und Christian, bis dahin Mitgeschäftsführer bei Birko, das Betriebsratsbüro zu stürmen. Der damalige Vorsitzende glaubt, daß ihn Teamleiter mit dem Auto von der Straße abdrängen wollten. „Ab dem Tag habe ich mir eine Gaspistole zugelegt“, sagt er. Auch Polizeischutz hat er angefordert.

Ab Mai gründete Birkenstock mit Happy Schuh, Betula, Albero und Fußbett neue gewerkschafts- und betriebsratsfreie Firmen. Die drei Söhne wurden Geschäftsführer. Sie produzieren dasselbe wie Karl Birkenstock, nur eben mit neuen Arbeitskräften. Nur wer seinen Verzicht auf gewerkschaftliche und betriebsratliche Betätigung erklärt hatte, wurde bei den Söhnen eingestellt. Der Firmensprecher sieht „eine faszinierend krisensichere positive Geschäftsentwicklung“ mit einem jährlichen Wachstum von zweiundzwanzig Prozent, „weil wir bisher von negativen Gewerkschaftseinflüssen verschont wurden“. Sven Hansen

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