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Keltischer Westwind

■ Die Schaubühne im Ballhaus Rixdorf: Peter Wittenberg inszenierte Synge

Ein kleiner Hügel, aus Steinen aufgeschichtet. Darauf ein Spinnrad, eine Feuerstelle, ein windschiefer Hauseingang. Hinten ziehen die Wolken, und wo wir sitzen, ist das Meer. So wie sich dieses Felsenkuckucksheim von Gisbert Jäkel in der Weite des Theatersaals im Ballhaus Rixdorf fast verliert, wirkt es wie ein anderer Planet, auf dem der kleine Prinz gelandet sein könnte – in einem Alptraum.

Denn nicht einmal auf den ersten Blick hat diese Szene etwas iedliches: zwei Männer und drei Frauen sind auf dieser steinernen Halbkugel erstarrt, wie Wachsfiguren empfangen sie die Eintretenden.

Mit einer Vorrede des jungen Priesters (Cornelius Obonya) beginnt das Spiel, und gleich wird klar, daß der Westwind hier keltisch wehen wird, obwohl das Weihwassernäpfchen unterm Eingang seinen festen Platz hat. Von den Heiden auf der mittleren Insel ist die Rede, die trotz ihrer Missionierung einst Gott zweifelten und zur Strafe fehlerhaft bleiben müssen, ihr Leben lang.

Das Drama spielt vor der Westküste Irlands; die Aran-Inseln liegen dort, die der Autor John Millington Synge (1871 bis 1909) um die Jahrhundertwende mehrfach besuchte, die er beschrieb und deren BewohnerInnen er fotografierte. In der Übersetzung von Annemarie und Heinrich Böll heißt das 1904 uraufgeführte Stück, das die Schaubühne in der Regie von Peter Wittenberg im angemieteten Neuköllner Außenlager zeigt, „Reiter zum Meer“ – im Original ist der Plural kenntlich: „Riders to the Sea“.

Die Geschichte ist schrecklich und schnell erzählt. Mutter hatte einst sechs Söhne und zwei Töchter. Fünf Söhne sind schon ertrunken, der letzte vor neun Tagen, nur Kleidungsfetzen wurden angeschwemmt. Jetzt will der sechste auf einen Sprung aufs Festland zum Pferdemarkt, bei stürmischer See. Die Mutter klagt, er geht ohne ihren Segen. Sie läuft ihm nach, da sieht sie ihn in Begleitung des toten fünften vorüberreiten – eine Erscheinung.

Sie gibt Nummer sechs verloren, und gleich wirft ihn das Pferd auch ab, über die Felsen ins Meer. Eine mystische Tragödie. Doch als man ihr den toten Sohn bringt, da atmet die Mutter auf: „Jetzt sind sie alle weg, und die See kann mir nichts mehr antun ...“ Und Tina Engel sieht fast glücklich aus, sie, die eben noch den Mund zu einem lautlosen Schrei so weit aufgerissen hatte, wie es sich Munch niemals hätte träumen lassen.

Eine psychologische Motivierung legt der Text nicht nahe, und der Regisseur versucht es auch erst gar nicht auf diesem Weg. Es ist Schicksal pur und wie man sich dreinschickt.

Den Kelten – und eine solche Tradition muß, Weihwasser hin oder her, unbedingt angenommen werden – wird nachgesagt, den Tod nur als Pause des Lebens verstanden zu haben. Sie hätten auch wenig Unterschiede zwischen den Lebewesen überhaupt gemacht, ihre Gesellschaftsform wäre die des Kollektivs gewesen, Materielles und Immaterielles inklusive.

So blickt denn auch Karoline Eichhorn als Tochter Cathleen versonnen hinaus aufs Meer und weiß doch, was ihre Schwester Nora (Caroline Peters) hinter ihr in der Hand hält. Ahndungen allenthalben. Doch merkt man auch, wie die Jugend aufbegehrt, wie eines der Mädchen die Alte nicht mehr ehrt, wie beide Tod und Gefahr als willkommene Abwechslung insgeheim zu schätzen scheinen. Ist das die Fehlerhaftigkeit, von der der Priester eingangs sprach? Man erfährt es nicht.

Tief und tiefer dünkt einen dies alles, und weit weg bleibt es auch in Wittenbergs Regie. Denn während man noch über die Nähe von Schmerz und Leichtigkeit grübelt, läßt Wittenberg Sven Walser, den toten sechsten Sohn, auferstehen, krachend in ein Stück Obst beißen, und es öffnet sich ihm rechts neben dem Hügel die Unterwelt als Jazzlokal.

Da setzt der Regisseur seiner eigenen Arbeit die Narrenkappe auf, vage Mystik will er durch Trivialität kompensieren und landet exactement bei Null. Der Beifall war kräftig. Petra Kohse

Nächste Aufführungen: heute und morgen sowie 6., 9., 13./14. 4. jeweils 20 Uhr, Ballhaus Rixdorf, Kottbusser Damm 76, Neukölln

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