: Flammende Herzen in New York
Im „melting pot“ New York werden nicht nur Nationen zusammengeschmolzen, sondern auch Glas / Eine alte Kunsttradition treibt dort neue Blüten / Zu Besuch bei den Glasbläsern von Brooklyn, dem B-Team ■ Von Ute Thon
Es ist unglaublich heiß. Ein Geruch von versengtem Papier liegt in der Luft. Aus drei riesigen Öfen strahlt gleißendgelbes Licht. Davor machen sich fünf Gestalten mit silbernen Halskrausen, zackigen Kopfbedeckungen und dunklen Sonnenbrillen zu schaffen. Einer hält ein Stück glühendrotes Glas in die Höhe, das wie ein riesiges Kaugummi am Ende eines Rohres klebt. Ein anderer bläst in das Rohr, die Glasmasse bläht sich ein wenig auf. Ein geschickter Dreh, dann wird die gläserne Blase wieder in den Ofen geschoben. Die Prozedur wiederholt sich einige Male: raus aus dem Ofen, drehen, blasen, drehen, ab und zu schlägt einer auch ganz sacht mit einem Holzpaddel auf das glühende Glas, bis sich das Kaugummi schließlich in ein riesiges menschliches Herz verwandelt hat, tiefrot und glänzend. Einer der Chirurgen stopft ein Stück Pappe in die Aorta, das im glühenden Inneren Feuer fängt. Flammen schlagen aus den Venen, als die OP-Crew das Objekt triumphierend in die Höhe hält. Das Publikum spendet frenetischen Applaus.
„Glaskunst heute, das ist mehr, als nur formschöne mundgeblasene Vasen herzustellen“, sagt Glasbläser Zesty Meyers hinterher. Auf alle Fälle ist es anstrengend. Vom Stemmen des 10 Kilo schweren Glasherzes zittern ihm immer noch die Hände. Schweiß tropft ihm von der Stirn. Meyers ist der Gründer der Performancegruppe B-Team, einer fünfköpfigen Glaskünstlercrew (vier Männer, eine Frau), die seit vier Jahren durch Amerika tourt und Kunststudenten, Professoren und Museumsleuten die moderne Kunst der Glasverarbeitung zeigt. „Wir spielen mit dem Mythos der Ästhetik“, erklärt Meyers. „Und wir versuchen, verschiedene künstlerische Ausdrucksformen zusammenzubringen.“
Dabei sind Material und Technik eigentlich uralt. Schon die alten Ägypter kannten das Geheimnis, aus Quarzsand, Pottasche und Kalziumkarbonat unter großer Hitze Glas herzustellen. Neu ist bei den amerikanischen Glaskünstlern allerdings die Präsentation. Das B- Team, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, hat den traditionellen Teamworkprozeß, der für die Glasverarbeitung selbstverständlich ist, in ein archaisches Happening verwandelt. Ein bißchen Fluxus, ein bißchen Feuerzauber, ein bißchen Kabarett, gemixt mit der HipHop-Kultur der Neunziger. So verkleideten sich die B-Teamer als Rotkreuzschwestern, um ein Loch in einem riesigen Glaszahn zu füllen, oder stellten im spacigen Star- War-Outfit gläserne Raketen (Zesty Meyers: „Die beste Erfindung seit dem geschnittenen Brot“) und durchsichtige Marsmenschen her.
Natürlich sind die Orte für ihre Auftritte beschränkt. Denn Grundvoraussetzung für eine B- Team-Show ist ein Ofen, der Temperaturen erzeugt, die sonst nur auf der Sonnenoberfläche herrschen. Zum Schmelzen von Glas sind bis zu 1.500 Grad Celsius Hitze nötig. Doch Glaskunst ist in Amerika populär, mindestens ebenso populär wie in Europa. Während in Venedig, Böhmen oder verschiedenen Regionen Skandinaviens jedoch mehr die klassische Glaskunst gepflegt wird, hat sich in Amerika seit den sechziger Jahren eine zeitgenössische Glaskunstbewegung entwickelt. Inzwischen gibt es in den USA zwölf Schulen und Sommerakademien, die die hohe Kunst der Glasherstellung und -bearbeitung lehren. Die bekanntesten sind die Pilchuck Glass School in Seattle und die Rhode Island School of Design in Providence. In größeren Städten wie Chicago, Seattle oder Boston gibt es zudem eine ganze Reihe von Galerien, die sich auf Glaskunst spezialisiert haben.
Das B-Team hat sie alle abgeklappert. Diesmal sind sie jedoch an einem besonderen Ort zu Gast: beim renommierten Urban Glass Institut in New York. Das Zentrum für zeitgenössische Glaskunst wurde 1977 gegründet. Zunächst in Soho beheimatet, zog Urban Glass 1991 in ein leerstehendes Theater nach Brooklyn um. Das ehemalige Strands Theatre an der Ecke Fulton Street und Flatbush Avenue lag zwar etwas abseits von der Kunstszene Manhattans, doch dafür bot das klassizistische Gebäude ausreichend Platz. Mit über fünftausend Quadratmetern Arbeitsfläche, sieben Öfen, Glasgießerei, Neonwerkstatt und eigener Galerie ist Urban Glass das größte öffentliche Glasstudio der Welt. Und eines der bekanntesten dazu. Internationale Künstlerstars wie Kiki Smith oder Dale Chihuly haben dort schon Objekte gefertigt, derzeit arbeitet Robert Rauschenberg im Studio.
John Perreault, der künstlerische Direktor von Urban Glass, war zuvor als Kurator im American Craft Museum tätig. Er war es auch, der das B-Team nach Brooklyn holte. „Man kann sie nur hassen oder lieben, dazwischen gibt es nichts“, sagt Perreault. „Sie haben eine erstaunliche Energie. Ich bin sicher, mit der werden sie die Glaskunst ins nächste Jahrtausend hieven.“ Als überzeugter B-Team- Fan hat er nicht nur die Performance organisiert, sondern auch eine Ausstellung mit Arbeiten des B-Teams geplant. Schon einen Monat vor ihrem Auftritt werkelten die ausgeflippten Glaskünstler in den Studios von Urban Glass. Das Ergebnis dieses Gemeinschaftsprozesses ist nun in der hauseigenen Robert-Lehman-Galerie zu besichtigen.
„Fünf verrückte junge Glasbläser-Artisten zeigen ihren Kram“, kündigte die Szene-Zeitschrift Village Voice die Ausstellung salopp an. Doch das B-Team wäre nicht das B-Team, wenn es dort einfach nur Glasskulpturen aufstellen würde. Tatsächlich haben sie die Galerie in fünf Erlebnisräume unterteilt, die den menschlichen Sinnen zugeordnet sind. Zum Thema Riechen sind dort beispielsweise unregelmäßig geformte Glasballons aufgereiht, denen die verschiedensten Gerüche entströmen. Knoblauch gehört dabei noch zu den vertrauteren. Im bonbonfarbenen Geschmacksraum wiederum werden dem Besucher Bubblegums serviert, die man selbst in Blasenskulpturen verwandeln kann – ein paar durchgekaute Anschauungsobjekte kleben bereits unter der gläsernen Tischplatte. Und den taktilen Raum kann man nur durchqueren, wenn man von Glaskugel zu Glaskugel springt, die in einen weichen Teppich aus Echtgras eingelassen sind.
Beeindruckt von der phantasievollen Installation, hat das American Craft Museum, eine Filiale des berühmten Museum of Modern Art (MoMA), die kreativen Glaskünstler bereits im Sommer für eine zweite New-York-Show ins Kunstgewerbemuseum eingeladen. Und auch die Workshops, die das B-Team für Kunststudenten in den Urban-Glass-Studios anbot, waren bestens besucht. Das echte B-Team-Feeling kommt jedoch erst auf, wenn man die fünf Glasderwische live in Action sieht. Wenn Clay Logan mit wehenden Zöpfen vor dem Ofenloch tanzt, wenn Thor Bueno die Asbesthandschuhe überstreift und eine glühende Skulptur davonträgt, als sei sie eine kerzenbestückte Geburtstagstorte. Oder wenn Zesty Meyers wie ein Geburtshelfer zur Schere greift, um die gläserne Nabelschnur eines Außerirdischen zu durchtrennen – einfach B-zaubernd.
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