: Umweltverpester vor den Kadi
Ein Internationaler Umweltgerichtshof soll langfristig Klimakiller schrecken / Auf dem Berliner Gipfel wird mit einem Tribunal schon mal geübt ■ Von Annette Jensen
Berlin (taz) – Einen Umweltgerichtshof, wie ihn sich die Initiatoren des morgigen Klima-Tribunals wünschen, gibt es zwar noch nicht. Dennoch wird in Berlin angeklagt: Auf Initiative der Umweltschutzorganisation Robin Wood sollen die Chefs der Deutschen Bank vor den Kadi. Der Vorwurf: Mit Milliardenkrediten für konventionelle Energieerzeuger haben sie das Treibhaus Erde mit aufgeheizt, für alternative Stromerzeugung rückten sie hingegen fast kein Geld heraus. Und das verstoße eklatant gegen die Grundregeln der Klimakonvention, wie sie in Rio verabschiedet wurde, so das Argument von Robin Wood.
„Die Lähmung der Debatte muß aufhören. Sie ist dadurch entstanden, daß heute, zumindest verbal, niemand mehr gegen Umweltmaßnahmen ist. Die Verantwortlichen verstecken sich hinter einem Scheinkonsens und marschieren weiter in die falsche Richtung“, sagt Mitinitiator des Klima-Tribunals Hermann Scheer, SPD-Bundestagsabgeordneter und Präsident der Europäischen Sonnenenergie-Vereinigung e.V. (Eurosolar). Zwar kann die Jury eines Tribunals niemanden in den Knast schicken und auch keine Geldstrafen verhängen. Aber indem sie die Umweltverpester öffentlich benennen und ächten, erhoffen sich die Kläger dennoch Bewußtseins- und Verhaltensänderungen. Gesponsert wird das Tribunal von zahlreichen Umweltschutzgruppen und Bündnis 90/Die Grünen. Die Genossen von Hermann Scheer hingegen konnten sich nicht zu einem Beitrag durchringen – aus haushaltsrechtlichen Gründen, wie sie sagen.
Das langfristige Ziel der Initiative ist die Einrichtung eines Internationalen Umweltgerichtshofs. Die Idee stammt von Amedeo Postiglione, der sein Geld beim obersten Gericht Italiens verdient. „Es ist nicht länger hinzunehmen, daß Staaten Konventionen unterschreiben und dann selbständig entscheiden, ob sie sie einhalten oder nicht“, schrieb der Umweltrechtsexperte in einem Grundsatzpapier. Deshalb hat er schon mehrere Kongresse veranstaltet, und seine Idee findet immer mehr Anhänger. Unterstützerkomitees gibt es inzwischen in 15 Ländern, darunter auch in Deutschland.
Ziel ist es, auch Einzelpersonen ein Klagerecht einzuräumen. Denn die Erfahrung hat gezeigt, daß ein Staat bei Verseuchung seines Territoriums fast nie den Internationalen Gerichtshof in Den Haag anruft – aus diplomatischer Rücksichtnahme. „Die Staaten verweigern zudem meistens ihren eigenen betroffenen Staatsangehörigen diplomatischen Schutz und bürden diesen die Last einer Klage vor nationalen Gerichten auf“, schreibt Alfred Rest von der Uni Köln. So mußten die niederländischen Gärtner, deren Land durch salziges Rheinwasser kontaminiert wurde, 14 Jahre lang vor verschiedenen französischen, holländischen und europäischen Gerichten gegen die Betreiber der Kaliminen im Elsaß klagen, bevor sie endlich recht bekamen.
Noch undurchdringlicher ist das Justizdickicht, wenn der Schaden durch Genehmigungen oder mangelnde Kontrollen eines Staates hervorgerufen wurde. Franziska Baumann aus München hat das bei einem jahrelangen Slalomlauf durch verschiedene Gerichte erfahren müssen. Das Mädchen war bei einem Fahrradausflug im Frühjahr 1986, kurz nach dem Tschernobyl-GAU, in ein Gewitter geraten und durch radioaktiven Regen verseucht worden.
Der Anwalt der damals Sechsjährigen argumentierte, daß sie wegen mangelnder Warnung durch die deutschen Behörden der Gefahr nicht habe entgehen können. Schließlich hatte der Innenminister noch am Vorabend im Fernsehen verkündet, eine Gefahr bestehe allenfalls 50 Kilometer vom Reaktor entfernt – und das, obwohl die Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung in München schon längst andere Informationen hatte. Franziska Baumann wollte nicht nur gegen die Sowjetunion, sondern auch gegen die BRD gerichtlich vorgehen. Doch nach einem vierjährigen Verwirrspiel der Behörden wurden die Klagen schließlich zurückgezogen.
Mit einem Internationalen Umweltgerichtshof hoffen die Initiatoren, derart Geschädigten zu ihrem Recht zu verhelfen. Allerdings machen sie sich keine Illusionen darüber, daß die Mehrheit der Regierungen von dem Vorschlag nicht begeistert sein dürfte. Denn dann würde ein Verstoß gegen internationale Verträge tatsächlich sanktioniert. „Die kleinen Inselstaaten, die auf der Berliner Klimakonferenz eine CO2-Reduzierung von den Industrienationen fordern, könnten zum Beispiel wegen Verstoßes gegen den Geist der Konvention von Rio klagen“, meint Scheer. Verbal-unverbindlich stehe da ja schon einiges drin.
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