: Verstärkter Trend zu Blockbildung in Asien
Shinroku Morohashi, seit 1986 Präsident des Mitsubishi-Handelshauses, über sich, sein Imperium, den deutschen Fußball, die Zusammenarbeit mit Daimler-Benz, Umweltprobleme, China und die Zukunft Asiens ■ Von Chikako Yamamoto und Georg Blume
taz: Herr Morohashi, Sie sind Fußballfan und arbeiten sonntags nicht. Wie verträgt sich das mit der japanischen Arbeitsmoral?
Shinroku Morohashi: Wenn ich arbeite, dann wirklich den ganzen Tag. Aber eben nicht das ganze Jahr durch. Arbeit ist Arbeit, und Freizeit ist Freizeit. Trotzdem schimpft meine Frau bis heute, daß ich mich nicht genug um die Familie kümmere. Was mein Fußballinteresse betrifft, hat davon auch die Firma profitiert: Ich war derjenige, der vor 40 Jahren die Mitsubishi- Fußballmannschaft gründete, in der heute Guido Buchwald und Uwe Bein spielen.
Woher stammt Ihre Vorliebe für den deutschen Fußball?
Ich bin als Student von deutschen Priestern an einer katholischen Universität erzogen worden.
Trotz dieses für Japan eher ungewöhnlichen Werdegangs sind Sie heute der erste Mann in der größten Unternehmensgruppe der Welt ...
Bitte verwechseln Sie nicht meine Funktionen. Es gibt heute mehr als 30 führende Mitsubishi-Unternehmen. Insofern ist verständlich, wenn viele Leute glauben, daß es sich dabei um die Mitsubishi-Gruppe handelt. Doch Mitsubishi verfügt über keine Holding-Gesellschaft. Holding-Gesellschaften sind in Japan nach dem Krieg gesetzlich verboten worden. Und auch die Vorkriegsstruktur von Mitsubishi, die damals eine Holding-Gesellschaft war, wurde zerstört. Deswegen sind heute alle Mitsubishi-Firmen unabhängige Unternehmen, auch wenn sie über geringe gegenseitige Aktienbeteiligungen verfügen. Da liegt der Unterschied zu Daimler- Benz in Deutschland.
Nach den Gesetzesplänen Ihrer Regierung wird es schon nach drei Jahren auch in Japan wieder Holding-Gesellschaften geben können. Uns scheint jedoch, daß das von Ihnen geleitete Mitsubishi- Handelshaus längst die gleichen Funktionen erfüllt.
Der Daimler-Benz-Vorsitzende Edzard Reuter verfügt über die unmittelbare Kontrolle der vier Unternehmen seiner Gruppe, also Mercedes-Benz, Dasa, AEG und Debis. Diese Kontrolle besitze ich im Fall der Mitsubishi-Unternehmen nicht. Aber natürlich ähneln sich die Funktionen der Daimler- Holding-Gesellschaft und die des Mitsubishi-Handelshauses sehr. Insofern sind wir bei Mitsubishi in der Lage, unsere Firmen als Gruppe zu organisieren. Als Organisator der Gruppe erfülle ich damit praktisch fast die gleichen Aufgaben wie Herr Reuter für Daimler-Benz.
Genau fünf Jahre nach Ihrem ersten Gipfeltreffen mit Daimler- Benz in Singapur sind Sie heute erstmals bereit, Fragen zu der Zusammenarbeit zu beantworten. Warum haben Sie solange gewartet?
Die gängige Antwort auf Ihre Frage lautet so: Schon bei unserem ersten Treffen 1990 in Singapur hätte uns Daimler vorgeschlagen, konkrete Kooperationsprojekte zu starten. Daraufhin hätten wir gesagt: „Bitte nicht so schnell! Wir machen das langsamer.“ Das ist die in den Medien verbreitete Version, die leider falsch ist. In Wirklich- keit waren sich beide Seiten von Anfang an einig, in einer so wichtigen Angelegenheit nichts zu überstürzen.
Und die Bilanz dieser Gespräche?
Unsere Zusammenarbeit ist sehr erfolgreich, denn beide Firmen verfügen über gute Technologien, fähige Mitarbeiter und internationalen Ruhm. Wir müssen deshalb nur unsere Spitzentreffen über zehn oder zwanzig Jahre kontinuierlich fortsetzen. Dafür werde ich mich, solange ich lebe, einsetzen, und ich weiß mich dabei einer Meinung mit Herrn Reuter. Mitsubishi kann sehr viel von Daimler lernen, und ich hoffe, das ist umgekehrt genauso.
Große Worte verdecken sehr oft Mißerfolge.
Unser Grundgedanke war doch von Anfang an, daß es am besten ist, wenn sich alle acht Firmenchefs der an der Kooperation beteiligten Unternehmen regelmäßig treffen und gut miteinander vertraut werden. Allerdings haben wir uns eben nicht mit vorgefaßten Plänen im Kopf zusammengesetzt. Uns beschäftigten Fragen wie diese: Was für ein Management hat Mitsubishi? Wie werden bei Daimler Entscheidungen getroffen? Wie läuft der Informationsaustausch in der jeweiligen Firmengruppe? Dieser Prozeß gegenseitigen Kennenlernens ist wirklich gut gelaufen, so daß heute bereits mehrere Projekt auf dem Weg sind. Solange wir auf diese Art und Weise weitermachen, werden immer neue Projekte hinzukommen.
Beispielsweise haben unser Handelshaus und die Debis jetzt eine Firma gegründet, die Faxgeräte verkaufen soll. Kürzlich hat Daimler ein stärkeres China-Interesse geäußert – jetzt wollen wir dort gemeinsam etwas unternehmen.
Herr Reuter hat neulich im Gespräch mit dieser Zeitung vorgeschlagen, in China nur Autos mit Katalysator zu verkaufen. Machen Sie da mit?
Wir sehen tatsächlich die Möglichkeit, Projekte auch mit einem moralischen Anspruch zu verwirklichen. Das geht schließlich nur bei so kultivierten Firmen wie Daimler und Mitsubishi. In China gibt es wirklich ernste Umweltprobleme. Weder Daimler noch Mitsubishi denken daran, in China ohne Rücksicht auf die Umwelt tätig zu werden.
So rücksichtsvoll ist man bei Mitsubishi nicht immer: Weltweit wird Ihre Firma für die Tropenwaldabholzung in Südostasien kritisiert.
Das ist ein Problem der Menschheit. Mit diesem Bewußtsein überlegen auch wir, ob bisher alles richtig gemacht wurde. Tatsache ist: Jeder muß kritisiert werden. Gleichwohl sind Europäer und Amerikaner bis heute maßgeblich für die Umweltzerstörung verantwortlich. Der Westen entwickelte die moderne Technik und damit auch die Ausbeutung der Natur. Japan und andere Nationen haben sich dem erst später angeschlossen. Schließlich mußten wir Japaner zunächst Bäume abholzen, um Papier für Bücher und Zeitungen herzustellen, ohne die keine Zivilisation aufgebaut werden kann.
Heute haben wir nun das Ziel einer umweltschonenden Entwicklung. Es gilt zu versuchen, unsere Zivilisation mit möglichst geringen Umweltschäden zu erhalten. Das, was vor hundert Jahren erlaubt war, ist jetzt nicht mehr vertretbar. Mitsubishi, ebenso wie Daimler, teilt diese neuen Erkenntnisse der Menschheit.
Wenn das so wäre, stände dahinter ein langwieriger Lernprozeß ...
So viele Vorwürfe werden uns von seiten der Umweltschützer doch gar nicht gemacht.
Stimmt leider. Der Westen wirft Mitsubishi und anderen Firmen viel öfter vor, daß in Japan die Arbeitszeiten zu lang sind. Teilen Sie die Kritik?
Bis vor kurzem haben im Ausland alle gesagt, daß die Japaner zuviel arbeiten, ihr Leben nicht genießen und daß deshalb die Produktivität in Japan so hoch ist. Aber das ändert sich. Es gibt ein neues Gesetz, mit dem das Arbeitsministerium versucht, die Arbeitszeiten zu verkürzen. Die Gesellschaft will das, und ihre schnelle Alterung zwingt sie fast automatisch dazu. Zwar arbeiten die Japaner immer noch länger als die Deutschen, aber die Unterschiede werden geringer. Die Japaner fangen an, ihre Freizeit zu genießen, sie profitieren von den sinkenden Importpreisen, sparen Geld und fördern damit den weltweiten Tourismus. 1,2 Millionen Japaner machen jährlich ihren Urlaub im Ausland. Das zeigt doch, wie sich die Lebenseinstellungen nach und nach ändern.
Ihr Vater war Sinologe. Sie selbst haben lange Zeit in Europa gelebt. Wird die nächste japanische Generation wieder nach Asien schauen?
Das Wachstum der asiatischen Länder ist tatsächlich beeindruckend. Den Grund dafür sehe ich in der politischen Stabilität dieser Länder. China ist zwar politisch gesehen noch ein sozialistisches Land, aber das Land hat sich bereits vor einigen Jahren für die Marktwirtschaft entschieden. Die Chinesen schaffen es eben, beides zu kombinieren, was fast an ein Wunder grenzt. Man kann sagen, was man will: In China läuft es zur Zeit einfach verdammt gut. Doch dürfen die Japaner nicht nur nach Asien schauen. Wir leben im Zeitalter der Globalisierung, und Asien ist nur ein Teil des Wirtschaftskreislaufs.
Das hört sich an, als ob man die Demokratie in Asien nicht braucht, um ein freies Wirtschaftssystem zu erhalten?
Es gibt in der Tat einen Trend zur verstärkten Blockbildung in Asien, den etwa der malaysische Premierminister Mahathir repräsentiert. Japans Position ist dabei noch unklar, denn unsere Handelsbeziehungen zu Amerika und Europa sind fast ebenso eng wie die mit Asien. Es wird jedoch auch in Asien keine perfekte Stabilität der Systeme geben. Das sieht man schon an den Sorgen, die man sich um China nach dem Tod von Deng Xiaoping macht, wenngleich sie uns derzeit nicht davon abhalten, dort viel zu investieren.
Baut Mitsubishi die chinesische Wirtschaft dabei nach japanischem Vorbild auf?
Premierminister Li Peng hat mir gegenüber kürzlich den Wunsch geäußert, daß man auch in China Handelshäuser aufbauen will. Er meinte, daß die vertikale Organisation der chinesischen Wirtschaft, also die Weisungsgebundenheit von oben nach unten, in vielen Branchen wie etwa im Energiebereich oder im Straßenbau nicht mehr ausreiche. Statt dessen bedürfe man in China nun auch einer horizontalen Koordination des Wirtschaftsgeschehens. Meine Antwort lautete daraufhin: Unsere Handelshäuser haben genau diese Funktion. Außerdem wollen wir China beim Aufbau eines modernen Handelssystems nach allen Kräften unterstützen. Zum Beispiel baut Mitsubishi heute eine neue Fabrik des großen Stahlwerks von Schanghai aus. Dabei tauchen viele Fragen auf: Wer kauft den Stahl? Wer liefert das Eisenerz? Wie lassen sich Rohstoffe und Produkte am billigsten transportieren? Wie wird das Büro automatisiert? Woher kommt das Essen für 6.000 Angestellte? Ein Handelshaus kann darauf die besten Antworten geben.
Werden Mitsubishi und Daimler also ein gemeinsames Handelshaus in China aufbauen?
Das weiß ich noch nicht. Doch es gibt Bereiche, in denen wir zusammenarbeiten können: In China gibt es unglaubliche Mengen an Kohle, die unter den bisherigen Verbrennungsbedingungen der Umwelt gewaltigen Schaden zufügt. Deswegen braucht man Geräte zur Schadstoffbegrenzung, die heute vor allem in Japan und Deutschland hergestellt werden. Um das Problem mal vor Ort anzuschauen, fand das letzte Arbeitstreffen zwischen Daimler-Benz und Mitsubishi im März in Schanghai statt.
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