■ Nach drei Jahren der Prüfung ist die Berlin-Brandenburgische Kirche mit Stolpe im reinen: Der Bischof reagierte leicht ungehalten
Die Leitung der Berlin-Brandenburgischen Kirche kritisiert ihren früheren Konsistorialpräsidenten Manfred Stolpe, rügt ihn aber nicht. Sie mißbilligt seine jahrzehntelangen Kontakte zu Angehörigen des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) ausdrücklich, verzichtet aber auf Disziplinarmaßnahmen. Als Bischof Huber das den wartenden Journalisten verklickern will, reagieren einige verwirrt. Darauf reagiert der Bischof ungehalten: „Verstöße müssen benannt werden, alles andere wäre eine Verharmlosung. Zugleich aber zeugt es von geschichtlicher Blindheit, wenn man den Rahmen, innerhalb dessen Stolpe handeln mußte, nicht sieht.“ Und der Bischof fügt hinzu: „Die Kirchenleitung setzt nicht auf das hohe Roß derjenigen, die nach 1989 über das urteilen, was vorher geschehen ist.“ Und tief ergriffen erinnert er an Stolpes „Bemühungen um inhaftierte Regimegegner“ und humanitäre Fälle anderer Art.
Die Leitung der Evangelischen Kirche in Berlin und Brandenburg kommt also von ihrem hohen Roß nicht herunter. Stolpe sitzt ohne Unterbrechungen fest im jeweiligen Sattel. Früher, vor kurzem also, als Konsistorialpräsident und heimlicher Stasi-Gesprächspartner, heute als Ministerpräsident und öffentliches Beispiel dafür, daß man das durfte „vor 1989“! Und wer das, zum Beispiel von der Seite einiger Regimegegner, anders sieht, ist eben falsch gewickelt. Der oder die hat die wahre Hilfe an der eigenen Biographie durch Stolpe, Wiegand, Roßberg und Mielke nur noch nicht erkannt.
Und wer sich beschwert, daß gerade das Heimliche das Tückische und Verletzende war, man ging zum Kirchenmann und sprach aber gleichzeitig mit einem Stasi-IM ... Ja, was sagt man dem eigentlich? Daß er sich beruhigen soll, daß „Zersetzung“, daß Vertrauensbruch nicht so schlimm waren? Oder sagt man gar, Manfred Stolpe und anderen kirchenleitenden IMs konnte und kann weiterhin, also auch heute und morgen, unbedingt vertraut werden?
Ist das die Botschaft? Ich nehme an. Dazu, so vermute ich, kommt dann das siegessichere Lächeln von Steffen Reiche oder Regine Hildebrandt, weil es ja Wahlergebnisse gibt. Und weil an denen ganz und gar deutlich wird, wie singulär und vielleicht schon abseitig eine solche Meinung wie die meinige ist.
Im Beschluß der Kirche steht auch noch ein philosophischer Satz. Er wird eingeleitet mit dem Gedanken, daß die Stasi eine „ordentliche Berichterstattung“ von Stolpe der Kirche gegenüber, und zwar über seine ständigen Treffen in konspirativen Wohnungen, mitbekommen hätte. Und das wäre negativ gewesen für weitere „Verhandlungserfolge“. Und dann kommt der tiefsinnige Satz: „Die daraus entstehende Pflichtenkollision ist eine für Diktaturen kennzeichnende Lebenssituation, in der ein Mensch durch bestimmte Handlungen ebenso wie durch deren Unterlassen schuldig werden kann.“ Das ist der Kern. Sage ich nein, wenn sie kommen? Es gibt ja immer „gute Gründe“, mit ihnen „zusammenzuarbeiten“. Wie viele Spitzel, Zuträger, Kontaktpersonen und Blockwartstypen werden sich auf diesen Satz berufen, daß „ein Mensch durch bestimmte Handlungen wie durch deren Unterlassung schuldig werden kann“!
Das ist der Hebel, Bischof Huber, das ist die Angel, an der alles hängt: Man kann sich in Diktaturen nicht richtig entscheiden, nicht gut verhalten.
Stolpe hat es richtig und gut gemacht, das ist die Botschaft. Aber die ist falsch und schlecht. Eine alte Frau, die als bekennende Christin gegen Hitler war und das Regime in ihrem Alltag, mit ihren kleinen Mitteln, bekämpfte, war besonders allergisch, wenn gelogen wurde. Wenn im Kleinen oder Großen die lächelnden Mienen der ganz tollen Diplomaten und Verschwörer auftauchten, die versprachen, alles zu regeln. „Die bringen uns ins Grab“, pflegte sie bei entsprechenden Fernsehbildern zu sagen. Aus diesem Grunde sah sie auch ungern in die Flimmerkiste. Als Bauersfrau mit Achtklassenschule hackte sie lieber im Garten oder half, während der „Nazi-Diktatur“, „unarischen“ Mädchen aus der Nachbarschaft, die untertauchen mußten.
Meine Großmutter hatte auch eine „Pflichtenkollision“, sie hatte auch Familie und selbst etwas zu verlieren. Nein sagen zu ihren Machenschaften, nicht lügen, das Vertrauen nicht zerstören, das andere in einen setzen – diese Botschaft ging von einer solchen Frau aus.
Sie wurde nix im Staate Deutschland, weder Konsistorial- noch Ministerpräsidentin. Als in Thüringen die Amerikaner einzogen, war sie froh und begrüßte sie. Die meisten anderen in der Straße verzogen die Gesichter, für sie war es keine Befreiung.
Es ist schwer, nein zu sagen. Aber die in Diktaturen mitgemacht haben, auch die mit den zwei Gesichtern, müssen die Verantwortung übernehmen und herunter von ihrem hohen Roß. Roßberg und Wiegand waren nicht Vertreter einer heimlichen Widerstandsorganisation. Manfred Stolpe war nicht im Widerstand. Er saß bei den Herrschenden, sie duzten sich. Jürgen Fuchs
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