: Wem's geschmeckt hat, ist fein raus
Auf der „Rinderwahn-Konferenz“ in London kritisierten unabhängige Veterinäre staatliche Maßnah- men / Noch immer gehen in Großbritannien jede Woche 350 Rinder an BSE ein ■ Aus London Ralf Sotscheck
Es gebe keinen Grund, wegen des Rinderwahnsinns künftig auf britisches Rindfleisch zu verzichten, meint der Mikrobiologe Stephen Dealler aus Birmingham. Für die meisten sei es ohnehin zu spät, weil sie eine möglicherweise tödliche Dosis längst zu sich genommen haben. Menschen, die bisher kein britisches Rindfleisch gegessen haben, sollten allerdings jetzt nicht damit anfangen.
Deallers Ansicht, die er am Freitag auf der Londoner Konferenz über Bovine Spongiforme Enzephalopathie (BSE) – wie der Rinderwahn wissenschaftlich heißt – vortrug, löste vehementen Widerspruch aus. Eingeladen waren neben Dealler weitere unabhängige sowie in den Diensten der Regierung stehende Wissenschaftler. Letztere behaupteten, die staatlichen Maßnahmen hätten sich als goldrichtig erwiesen. Die Regierung hatte 1988 verboten, Wiederkäuern Futtermittel zu verabreichen, denen Schaf- und Rindabfälle beigemischt waren. Infiziertes Futtermittel gilt als Auslöser der Seuche, der bisher 150.000 Rinder zum Opfer gefallen sind. Dennoch darf es weiterhin an Schweine und Hühner verfüttert werden.
Noch immer gehen jede Woche rund 350 Rinder an BSE ein, mindestens 15.000 sind gestorben, die nach dem Verbot der Beimischung von Tierabfällen in Futtermittel geboren sind – ein Indiz für die vertikale Übertragung des Erregers von der Kuh auf das ungeborene Kalb. John Wilesmith vom staatlichen Veterinärlabor, der das BSE- Problem von Anfang an verharmlost hat, erklärt das freilich mit „kontaminierten Rückständen in den Futtermittelmaschinen“. Das Interesse, eine vertikale Übertragung zu leugnen, liegt auf der Hand: Wenn der Erreger von der Kuh durch das Blut in das Kalb gelangt, dann ist er überall – und nicht nur im Hirn, dem Lymphgewebe und verschiedenen inneren Organen, wie die Regierung weismachen will. Eine Übertragbarkeit der Krankheit auf den Menschen schloß Wilesmith kategorisch aus.
Stephen Dealler ist weniger optimistisch. Er sagte, man wisse weder, ob für Menschen ein hohes oder niedriges Risiko bestehe, noch welche Dosis für die Infizierung nötig sei. Die Versuche mit Mäusen hält er für sinnlos, da Mäusen lediglich drei Milligramm infizierten Gewebes verabreicht werden, während sich in einer einzigen Mahlzeit beim Menschen ein Vielfaches davon befinden kann. Deshalb hält er auch von der Entwicklung der „Supermaus“ nichts, die das menschliche Prion-Protein enthält. Infizierte Prionen, die dem körpereigenen Eiweiß gleichen und deshalb nicht nachzuweisen sind, sollen für BSE und verwandte Krankheiten verantwortlich sein. Die Wissenschaft ist sich nicht einig, ob das Prion-Protein ganz alleine ansteckend ist, was eine biologische Sensation wäre, oder ob es lediglich die Schutzhülle für einen Mini-Virus mit Erbanlagen bildet.
Falls sich die Annahme der Regierung, das Risiko für Menschen sei gering, als falsch erweise, werde sich ab der Jahrhundertwende die Creutzfeldt-Jakob-Krankheit – die beim Menschen auftretende BSE- Variante – sprunghaft ausbreiten, sagte Dealler. Er glaubt, daß die BritInnen bis zum Jahr 2000 fast zwei Millionen infizierte Tiere verspeist haben werden. Dealler sagte, auch die Experten des Landwirtschaftsministeriums räumen hinter vorgehaltener Hand ein, daß 85 Prozent der BSE-Rinder auf dem Mittagstisch landen, weil die Krankheitssymptome zum Zeitpunkt der Schlachtung noch nicht sichtbar waren.
Unfreiwillig komisch wurde die Konferenz jedesmal, wenn der Sprecher der Fleischindustrie, Colin McLean, das Wort ergriff. Sein gesamtes Weltbild scheint einzig und allein auf Rindfleisch zu basieren. Die Deutschen, so sagte er, haben ein „riesiges Problem, weil sie unser Fleisch nicht wollen“. McLean jammerte über die Kosten, die der Fleischindustrie aufgrund der „Medienhysterie“ entstanden seien. In Großbritannien ist der Verbrauch im vergangenen Jahr um drei Prozent gestiegen, nachdem er zwischen 1984 und Anfang 1994 um ein Fünftel zurückgegangen war. Das zeige, so freute sich McLean, daß „die Hausfrau britisches Rindfleisch wieder als gefahrlos für sich und ihre Familie“ einschätze.
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