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Monologisch gestrickt und fallengelassen

■ Großangelegte Funkstille beim Dialogversuch deutscher Künstler: Die Ausstellung "Westchor Ostportal" in Berlin

Ärger war der Auslöser. Gabriele Muschter, die sich als Kuratorin der Überwindung der „Mauer im Kopf“ verschrieben hat, konnte die Abwertung von „Ostkunst“ aus westdeutschem Mund nicht mehr ertragen. Und beschloß zusammen mit Klaus Honnef vom Rheinischen Landesmuseum Bonn, eine dialogisch strukturierte Ausstellung zu konzipieren, in der inhaltliche Reibungs- und Berührungspunkte die Frage nach der Herkunft der Künstler sekundär erscheinen lassen sollten. Mit Penck, Jörg Immendorf, Felix Droese, Thomas Florschuetz, Thomas Ruff, Olaf Metzel, Lutz Dammbeck und Pina und Via Lewandowsky konnten sie Künstler gewinnen, die auf dem internationalen Kunstparkett nationale Grenzen längst überwunden haben.

Desinteresse am Bilderstreit

Allein der Wille zur guten Tat macht aus monologisch gestrickten Kunstkonzepten noch keinen Dialog. In der Funkstille zwischen den Werken von Lutz Dammbeck und Olaf Metzel oder Olaf Nicolai und Heribert C. Ottersbach breitet sich vor allem eins aus: Desinteresse am deutsch-deutschen Bilderstreit. Dies wäre als Defizit weiter nicht schlimm, würde sich denn ein anderer Kontext in sinnlicher Evidenz einstellen, der die durchaus vorhandene Komplexität der Werke zur Entfaltung brächte. Das aber scheint allein im Bildgedächtnis der Kuratoren der Fall. Ein mit kritischen Ansätzen gut gefülltes Stichwortregister hält die Künstler-Paarungen zwar in den Interpretationen der Katalogautoren gerade noch zusammen. Für den Besucher aber bewahrheitet sich nur der Untertitel der Ausstellung: „12 Positionen zeitgenössischer Kunst in Deutschland“. So what? Typischer Fall von Alibi-Kontext, vom vielbeschworenen Dialog, der dem Einmannunternehmen Kunstproduktion übergestülpt wird? In einer Podiumsdiskussion zur Eröffnung wurden Muschter und Honnef von Olaf Metzel und Lutz Dammbeck zu den Prügelknaben gestempelt, die die Chance zum Dialog vermasselt haben. Bei Gruppenausstellungen im Osten habe man sich wenigstens noch mit Lust in inhaltliche Auseinandersetzungen gekniet, erinnert sich Lutz Dammbeck, der hier ein gemeinsames Produzieren vermißte. Wie aber sollten die Weichen für eine Koproduktion mit einem Künstler gestellt werden, der wie Dammbeck seinem Ruf als kritischer Kommentator eines ideologisch besetzten Bildprogramms ohne Überraschungen nachkommt? Metzel erzählte vom langfristigen biographischen Kontext seiner Arbeit; seine ästhetische Auseinandersetzung mit Grenzbereichen von Skulptur und Architektur habe nichts mit den Problemen des deutschen Bilderstreits zu tun. Er stellte damit die Wahrheit der Produktion gegen die Sinnstiftung einer Ausstellung – als ob der Ort, an dem Kunstwerke sichtbar werden, keine Rolle für ihre Interpretation spielte.

Gleichgültigkeit des Advocatus Diaboli

„Den Künstler interessiert die Kunstgeschichte soviel wie die Vögel die Ornithologie“, behauptete ein typischer Malerfürst in „Wer hat Angst vor Rot, Gelb, Blau?“, der 80er-Jahre-Filmsatire über den Kunstbetrieb. Daß diese Gleichgültigkeit nur zur Schau stellen kann, wer seinen Platz im Betrieb gesichert weiß, ist sicher auch Metzel bewußt. Dennoch gab er sich redlich Mühe, den Advocatus Diaboli zu spielen, dem die Ausstellungsidee sonstwo vorbeigehe.

Ein fruchtbarer Streit konnte das Gespräch schon deshalb nicht werden, weil Metzel und Dammbeck von dem immer gespenstischer werdenden Bilderstreit kaum berührt sind. Allein die Künstler, die die historische Last „eines identitätsstiftenden Bildprogramms aus der Welt des Kalten Krieges“ (Penck) zu stemmen haben, dienen der Ausstellung zwar als Legitimation für den produktiven Dialog: So verwies Gabriele Muschter auf eine ältere Künstlergeneration der DDR, die zu Unrecht an den Rand der Wahrnehmung gedrängt sei. Im Rückblick erwiesen sich ihre Ausdrucksformen als geprägt von der Zugehörigkeit zu ihrem Staat – und sei es in der Bemühung, individuell für sich noch einmal zu erfinden, was die Avantgarden seit Dada als Sand in das Getriebe der Kultur warfen. Aber gerade von diesen „Ostkünstlern“, die im jetzt geweiteten Feld der Rezeption ihr Widerspruchspotential verloren haben, war niemand zu „Westchor Ostportal“ eingeladen.

Einzig Penck, den künstlerischen Konkurrenzen gegenüber ebenso souverän wie der Kluft zwischen Kunsttheorie und Praxis, hielt auf dem Podium den Kuratoren die Treue (und das Publikum mit Flötentönen bei Laune). Doch daß für ihn aus dem Dialogmodell die Luft noch lange nicht raus ist, hat einen einfachen Grund – er brauchte nicht erst die Anregung durch einen Kurator im Jahre fünf nach der deutschen Vereinigung, um über die innerdeutsche Grenze hinweg Malerfreundschaften einzugehen.

Die Geschichte seiner Beziehung zu Jörg Immendorf, die wie absurdes Theater begann, bildet denn auch das netteste Kapitel der Ausstellung. Als Immendorf 1976 – noch war er bekennender Maoist – nach Ost-Berlin reiste, um Penck für linken Agit-Prop zu gewinnen, antwortete der ihm in Comic-Sprüchen. Beide legten sich über Kunst mit den politischen Systemen ihrer Länder an. Doch während Immendorf ernsthaft versuchte, die Ideale der sozialistischen Gesellschaft zu popularisieren, wirbelte Penck die Symbole politischer Propaganda schon damals wie Bilderrätsel durcheinander.

Glücklicherweise ist nicht jeden Tag Podiumsdiskussion. Glücklicherweise kann sich der Besucher der Ausstellung im Berliner Marstall, die später ins Rheinische Landesmuseum Bonn und in die Kunsthalle Dresden weiterziehen wird, den Werken zuwenden, ohne sich von den Kunstproduzenten in die Interpretation pfuschen zu lassen. Dann wird er auch die feine Installation „Überleben, Freizeit“ des belgischen Künstlers Michel François entdecken können, den sich Pina und Via Lewandowsky als Partner gewünscht hatten, weil sie der deutsch-deutschen Frage nichts mehr abzugewinnen vermochten. Mit einem Faden hat er den Eingang zu seinem Installationsraum versperrt. Dort hängt das Foto von einem an den Ellbogen durchgescheuerten Pullover, gegenüber wühlen auf einem Video Hände im Zeitraffer die Erde auf. Gleichzeitig erinnern eine von der Decke baumelnde Flasche und rotes Licht im abgedunkelten Seitenraum an Krankenhausbilder. Die Dinge scheinen mehr wie Splitter ausgebreitet, Splitter der Wahrnehmung. Katrin Bettina Müller

„Westchor Ostportal“, Galerie im Marstall Berlin, bis 7. Mai 1995.

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