: Schöne neue Arbeitswelt
■ Alle wollten Arbeit, doch nur freier Wettbewerb erhöhe Chancen
Arbeit ist alles. Wer keine Arbeit hat, ist nichts. Auf eine Familie kann man im Leben vielleicht noch verzichten, auf Arbeit nicht. Arbeit wird so zur „Religion des 20. Jahrhunderts“, behauptet der Wirtschaftspublizist Rainer Hank. Das Geschwätz vom „Ende der Arbeitsgesellschaft“ habe sich als haltlos erwiesen. Statt dessen will Hank in seinem 200-Seiten-Essay die „Bedeutungsaufladung“ der Arbeit nachweisen und schlägt außerdem Provozierendes vor: Um allen eine Chance auf Arbeit zu bieten, müsse die Marktwirtschaft „kapitalistischer“, müsse die „humanisierende Kraft des Wettbewerbs“ neu entdeckt werden.
Was die „Bedeutungsaufladung“ der Arbeit betrifft, verweist Hank auf Alltagserfahrungen. Frauen beispielsweise wählten die Berufstätigkeit, obwohl sie mit ihrem ganzen Nettogehalt eine Tagesmutter finanzieren müßten – nur, um Arbeit zu haben. Manager, die gefeuert würden, erhielten noch für einige Zeit „outplacement“-Berater, die ihnen ein Büro zur Verfügung stellten. Diese Büros seien „Stätten des ,Als-ob‘, sagt Hank. Denn ohne diese Illusion kippte man ins Nichts.
Altmodisch die Vorstellung, bei der Arbeit ginge es vor allem ums Geldverdienen. Tausende von Erben unter uns beweisen das Gegenteil. Die „Bedeutungsaufladung“ der Arbeit geht einher mit dem Niedergang des klassischen Berufsethos der Produzierenden. Denn die Welt des modernen mittleren und höheren Managements ist eine Welt der Simulation. „Die Welt des Unternehmerischen und des Risikos ist jetzt die natürliche Lebenswelt des Verstellungskünstlers [...] Daß einer eine Schweißnaht zu setzen vermag, läßt sich falsifizieren; ,kommunikative‘ Seriosität dagegen nicht.“ In diese Welt schleichen sich – wie der Immobilienmakler Schneider – die Hochstapler ein, die früher als Schauplatz ihrer Verstellungskunst die Aristokratie oder das Militär bevorzugt hatten.
Ernst Jünger hat in seiner Schrift „Der Arbeiter“ vorhergesehen, wie es kommen mußte. Hank zitiert: „Arbeit ist also nicht Tätigkeit schlechthin, sondern der Ausdruck eines besonderen Seins [...] Das Gegenteil der Arbeit ist nicht Ruhe oder Muße, sondern es gibt unter diesem Gesichtswinkel keinen Zustand, der nicht als Arbeit begriffen wird.“ Erholung, Freizeitgesellschaft sei heutzutage gleichfalls zur Arbeit geworden, wie sich am Tourismus und im Freizeitsport zeige. Wir seien nicht mehr fähig zur Muße.
In einer Zeit, in der die Selbstverständlichkeiten eines religiösen Weltbildes fehlten, führe Muße anstatt in die satte, ruhig gelassene Haltung von Feier und Affirmation in den gefährlichen Strudel von Schwermut und Melancholie. Die reale Gefahr der Depression, meint Hank, sei eine der stärksten negativen Motivationen, welche die Arbeitsgesellschaft am Leben erhalte. Und jene verzweifeln lasse, die keine Arbeit haben. Erst im 20. Jahrhundert konnte Arbeitslosigkeit zur persönlichen Katastrophe werden, obwohl die materielle Absicherung der Erwerbslosen sehr viel besser ist als vor 100 Jahren, referiert Hank den britischen Sozialforscher John Burnett.
Verführerisch schlüssig erscheint die These von der Arbeit als neuer Religion – weil Hank alles wegläßt, was stört. Vor allem die Frauenarbeit, die der Autor mit atemberaubender Ignoranz in einem Nebensatz abhandelt: Arbeit „hat alle positiven Konnotationen auf ihrer Seite. Arbeit vermag für menschliches Leben Sinn zu stiften [...] Die Unterscheidungen zwischen geistiger und körperlicher, Erwerbs-, Nebenerwerbs- und Hausarbeit, so wichtig sie in anderem Zusammenhang sein mögen, sind angesichts dieser Bedeutungswucht von untergeordneter Relevanz.“ Obwohl die Hausfrauen heute über mehr Technik als früher verfügten, sei die Hausarbeit nicht weniger geworden. Daraus schließt der Autor: Auch die (Haus-)Frauen schafften sich Arbeit, denn ohne diese würden sie sich sinnlos fühlen.
Hier wird die Hauptthese platt. Wäre auch unbezahlte Arbeit vollwertige Arbeit, müßte man sich um die Erwerbslosen keine Gedanken machen: Ehrenamtliche Jobs als Trostpflaster genügten. Bestünde kein Unterschied zwischen Hausarbeit und Berufstätigkeit, würden nicht Millionen von Müttern aufwendige Gratwanderungen riskieren, um beide Bereiche zu integrieren.
So erweist sich Hanks Essay vor allem als Bibel für Männer in Banken, Softwarefirmen und Kanzleien. Die dürften auch die Message zum Thema Arbeitslosigkeit unterstützen. „Die Marktwirtschaft muß kapitalistischer werden“, freier von Regularien durch Verbände und die Sozialpartnerschaft der Tarifparteien. „Der Altruismus der Sozialpartnerschaft steht unter Ideologieverdacht. Dagegen wird die humanisierende Kraft des Wettbewerbs entdeckt.“ Hank verachtet die „Kuchentheorie“ einer „Arbeitsumverteilung“. Nicht solcherart Verteilung von oben schaffe mehr Jobs, sondern nur Wachstum und ungehinderter Wettbewerb, in dem jeder seine Chance kriegen soll. Eine Arbeitssicherung sei künftig nicht mehr über die „Sicherheit des Arbeitsplatzes zu gewinnen, sondern über die persönliche Fähigkeit, vielseitig und auf hohem Niveau einsatzfähig zu sein“, bezieht sich Hank auf die US-amerikanische Ökonomin Rosabeth Moss Kanter.
Erwartungsgemäß gilt ihm die Dienstleistungsgesellschaft in den USA dabei als Vorbild. Die selbständig arbeitenden Konzeptionierer, Programmierer und Graphiker, die von ihrem alten Stammunternehmen leben, sind für ihn die Arbeiter der Zukunft – nicht die tariflich bezahlten Arbeitnehmer mit Kündigungsschutz, Betriebsrente und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Der „Wettbewerb der Begabungen“ für alle sei am Ende humaner als die sich verfestigende Sockelarbeitslosigkeit.
Das bezweifeln nicht nur die Gewerkschaften. Auch im Wettbewerb werden bekanntlich viele für immer abgehängt, ohne Chance. Das weiß auch der Autor, hauptberuflich FAZ-Wirtschaftsredakteur. Die von Hank gezeichnete „schöne neue Arbeitswelt“ bleibt denn auch hoffnungslos unsympathisch. Aber Erlösung soll es nicht geben. „Die Arbeitswelt ist das Reich des Ressentiments, der Schwachen. Hier können wir alle überleben.“ Was einen dann irgendwie doch wieder an die Bibel erinnert. Barbara Dribbusch
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