piwik no script img

Trends und Namen wie vom Fließband

■ In Hamburg tagten zur Musik-Messe „KlassikKomm.“ Produzenten und Kritiker

„KlassikKomm.“ – der Titel klingt einladend und irritierend zugleich. Drei Tage lang traf sich die deutsche und auszugsweise europäische Klassikszene im Hamburger Congress Centrum, um sich zu sehen und in die Zukunft vorauszuschauen. Die nach 1994 zum zweiten Mal stattfindende Klassikmesse KlassikKomm. versteht sich als Treffpunkt von Mittlern und Produzenten klassischer Musik. 118 Aussteller aus allen Sparten, angefangen bei CD-Produzenten bis hin zum dänischen Musikinformationszentrum, stellten sich vor.

Der internationale Klassikmarkt ist frostiger geworden. Trotz um 20 Prozent gestiegener Umsätze liegt der Gesamtanteil von Klassik im Musikgeschäft bei gerade einmal einem Zehntel. Auch deshalb wird kommuniziert, ganz im Sinne des nüchternen Messe- Titels. Digitaler Rundfunk, CD- ROM, Videoclip, Crossover-Taktiken und immer wieder „Best-of“- Kompilationen bestimmen die Marschrichtung der Industrie, die sich die Popularisierung – ein moderner Euphemismus für kommerzielle Vermassung – klassischer Musik auf die Fahnen geschrieben hat. Der letzte Messetag war auch für das Nichtfachpublikum geöffnet, so daß sich auch der nicht spezialisierte Besucher beim heiteren Nebeneinander von Konzert, Podiumsdiskussion und Vortrag ein Bild vom Dilemma machen konnte. So zum Beispiel beim offenen Forum zur Frage: „Was will der Klassik-Konsument?“ Am Sonntag, dem Abschlußtag, sollten Gespräche zur Situation des Konsumenten Aufschluß darüber geben, was der durchschnittliche CD- Käufer nun eigentlich erwartet. Loriot hätte sich das Szenario nicht besser ausdenken können. Neben seriösen Fachhändlern und ausgefuchsten Plattenmanagern saßen zwei verschreckt dreinblickende Klassikkonsumenten, die nun also darüber Auskunft geben sollten, was sie eigentlich wollen. Sie wollten – wer hätte das gedacht? – „gute Beratung und nicht zu viele Platten“.

Der Repräsentant eines großen Tonträgerproduzenten reagierte mit einer gewissen Gereiztheit auf die Frage eines Hamburger Journalisten, warum denn eine Lolitageigerin wie die junge Asiatin Vanessa Mae für eine „reibungslose Kommunikation“ zwischen klassischer Musik und unentschlossener (männlicher?) Kundschaft sorgen müsse. Der Manager empfahl dem Journalisten, von der Beachtung dieses Produktes doch einfach Abstand zu nehmen. Es ist kein Einzelfall, daß Repräsentanten der Schallplattenindustrie dezent darauf hinweisen, daß die Musikpresse den CD-Produzenen braucht und nicht umgekehrt. „Worüber wollt ihr denn sonst schreiben?“

Trotz oder gerade wegen solcher Klarstellungen – nur so erfährt man, was man voneinander will – war die Klassik-Messe ein inspirierendes Schaufenster zeitgenössischer Klassikrezeption. Die Messemacher haben sich jedenfalls alle Mühe gegeben, den Spagat zwischen industrieller Leistungsschau und kritischer Begegnung zu bewältigen. Mit dem etwas überladenen, aber ambitionierten Konzertprogramm (Musikfabrik NRW, Geoff Smith, Steve Marland) wurde ein positives Zeichen gesetzt. Gleichzeitig ermöglichte das Nebeneinander von Produzenten und medialen Verwertern, die Probleme und auch die Auswüchse dieser kulturellen Nische zu thematisieren.

Zum Beispiel das Marketingproblem. Weniger die kalkuliert eingesetzte Weiblichkeit als gedankenloser Marketing-Wildwuchs führt zu geschmacklichen Entgleisungen, wie das Beispiel Vanessa Mae zeigt – es ist der Trieb nach optischer Präsenz. Das Problem visueller Präsentation klassischer Musik ist offenkundig. Die Super-Obszönität einer Madonna ist im Vergleich zu den erotisch aufgemotzten Klassikbienchen kulturelle Basisarbeit.

Auch die Bewertbarkeit künstlerischer Leistungen innerhalb der klassischen Musik kam – zwar nur kurz, aber deutlich – zur Sprache. Jürgen Kesting (Die Woche) bemerkte zu Recht, daß ein Komponist, der für ein deutsches Opernhaus ein neues Werk komponiert, gerade mal zehn Prozent dessen verdient, was Luciano Pavarotti für einen einzigen Opernabend bekommt. Selbst wenn letzterer das Geld mit ziemlicher Sicherheit wieder einspielt – die krassen Schwankungen in der Dotierung künstlerischer Leistungen sollten durchaus einmal größeren Diskussionsraum einnehmen.

Bedauerlich sind auch die Assymmetrien von künstlerischem Inhalt und dessen werbestrategischer Verpackung. Fragen der Visualisierung von klassischer Musik wurden auf der KlassikKomm. ebenso diskutiert wie der Wunsch nach Videoclip-Sendeplätzen in Viva oder MTV. Natürlich gibt es auch nüchterne Stimmen, die bemerken, daß die klassische Musik seit Beginn der Ära Karajan aufgehört hat, eine jungfräulich reine Kunstform zu sein, die ihr Dornröschendasein bis in alle Ewigkeit fortführen kann. Mitte der neunziger Jahre ist alles, was sich mit klassischem Tongut beschäftigt, ein ominöser Mischmasch aus naivem Idealismus, berechnender Geschäftemacherei und kommunikativer Verwirrung. Richtige Bösewichte gibt es bestimmt nicht, aber jede Menge Trittbrettfahrer.

Die Branche muß sich nicht wundern, wenn die Häppchenkultur beim Wort genommen wird und der Klassiker auch im Ramschkorb seine Käufer findet, zum ökonomischen Nachteil des Qualitätsproduktes.

Auch der britische Komponist Steve Martland, der mit seiner Musik auf der Klassik.Komm einiges Aufsehen erregte, beklagt die Hysterie, mit der die Werbeabteilungen der Plattenfirmen musikalisch Neuem begegnen. Auf der Suche nach einem verkaufsfördernden Image sind alle Mittel recht, Namen, Begriffe und angebliche Trends werden in Fließbandmanier produziert und dem Konsumenten hingeworfen. Mit der Hoffnung, daß der kommerzielle Zenit nun überschritten ist, kann man sich auf die KlassikKomm. 1996 vorbereiten, die der Musik und ihren Interpreten vielleicht eine vernünftige Chance einräumt, zumindest eine Spur davon zu verwirklichen, was Musik leisten kann: eine Utopie zum Weiterleben. Sven Ahnert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen