: Made in Kreuzberg
■ Auf der Hannovermesse ist "Solarpolis Kreuzberg" eine Attraktion für Besucher / Ein Bezirk stellt sich aus: Vom Solarflitzer übers Windrad bis zum Heizkraftwerk
Der gelbe, flachgeduckte Flitzer mit den verchromten Scheinwerfern findet immer wieder bewundernde Autofans. Doch unter der langen Haube sucht man vergebens nach einem dröhnenden und stinkenden Sechszylinder. Der Bolide bezieht seine Energie aus der Solartankstelle – so wie alle zehn Gefährte, die auf der Hannovermesse vor dem Kreuzberger Stand zu sehen sind. Und daß man mit Sonnenenergie auch schnell fahren kann, beweist im durchsichtigen Zelt der „Spirit of Biel“. Letztes Jahr sauste das langgestreckte und vollständig mit Solarzellen belegte Fahrzeug in Spanien mit 147 Stundenkilometern zum Weltrekord.
Für die Fahrt von Berlin zur Hannovermesse verbrauchte der „Spirit of Biel“ eine Energie, mit der man vergleichsweise eine 60- Watt-Birne vier Stunden lang brennen lassen könnte, berichtet Arno Paulus vom Verein Solarmobil stolz. Wer über die bloßen 19 Prozent Wirkungsgrad der Solarzellen aber die Nase rümpft, wird eines Besseren belehrt. Benzinmotoren haben schließlich nach 100 Jahren Entwicklungszeit nur 25 Prozent Wirkungsgrad erreicht.
Neben den Solarfahrzeugen vor dem Zelt hat man ein tonnenschweres und fünf Meter langes Getriebe für eine Windkraftanlage des Kreuzberger Unternehmens „Südwind“ hingewuchtet. Seine Produkte mit Rotoren von bis zu 46 Meter Durchmesser befinden sich im Aufwind – was vor über zehn Jahren im Hinterhof begann, hat sich heute zu einem Unternehmen mit einem Umsatz von 15 Millionen Mark jährlich und dreißig Beschäftigten entwickelt.
Fast alles dreht sich am Stand von „Solarpolis Kreuzberg“ um die Sonnenenergie. Doch neben einer beeindruckenden Produktpalette wird zugleich für einen anderen Umgang mit den Ressourcen geworben. Untrennbar gehört beispielsweise für Solar-Manager Paulus zu einem Solarmobil auch ein neues alternatives Verkehrskonzept. So träumt er davon, daß Autovermieter Solarmobile in ihrem Programm anbieten.
Daß der Berliner Bezirk in diesem Jahr erstmals auf der Hannovermesse zu finden ist, hat Paulus gemeinsam mit Kreuzbergs Bezirksbürgermeister Peter Strieder (SPD) realisiert. Elf Unternehmen, die aus dem Alternativbereich kommen und allein nicht in der Lage gewesen wären, die hohen Standmieten zu tragen, sind darum im Zelt zu finden. Während neben dem Zelt leise das Blockheizwerk wummert und Wärme und Strom liefert, kann man drinnen an der Theke ein mit Solarenergie gekühltes Bier trinken und sich über die Innovationen unterhalten.
Im Zelt erläutert auch Diplomingenieur Rainer Lemoine von „Wuseltronik“ seine Produkte. Eine überdimensionale Thermosflasche entpuppt sich dabei als erster tragbarer Solarkühlschrank, der erst nach zwei Tagen wieder an die Solartankstelle muß. Er wird eingesetzt in tropischen Ländern für medizinische Zwecke, beispielsweise um Impfstoffe bis in abgelegene, schwer erreichbare Gebiete zu kühlen.
Ein anderes Unternehmen hat sich auf die Erstellung von Computer-Software spezialisiert. Damit werden auch gängige Handwerksbetriebe in die Lage versetzt, Kunden die passende Größe einer Solaranlage für die Warmwassererzeugung zu errechnen, die als Alternative zu herkömmlichen Anlagen dienen kann. Photovoltaikanlagen, die Strom erzeugen, werden von der Firma UFE-Solar gebaut. Nach der Zusage der Bewag, den Anlagebesitzern für jede ins Netz eingespeiste Kilowattstunde 1,80 Mark zu zahlen, hofft man auf weitere Zuwächse.
Über Probleme ganz unerwarteter Art kann UFE-Mitarbeiter Karl-Heinz Remmers bei der Regenwassernutzung berichten. Beim Neubau der SPD-Baracke in Kreuzberg gibt es noch keine Genehmigung, das aufgefangene Regenwasser für die Klospülung und die Waschmaschinen zu verwenden. In der völlig FCKW-freien Parteizentrale werde mit einem energiesparenden Blockheizkraftwerk auch Strom und Wärme erzeugt, lobt Bürgermeister Strieder seine Genossen als ökologische Speerspitze. Obwohl Regenwassernutzung von der Hamburger Stadtregierung gefördert wird, hat in Berlin die Behörde gesundheitliche Bedenken. Bis zur Fertigstellung des Gebäudes, so hofft Strieder, soll dieser Vorbehalt ausgeräumt sein. Gerd Nowakowski
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