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Hetero – find' ich gut Von Neil Spence

Manchmal ist es schwer, mit ihnen auszukommen. Man denke nur an ihre nie ganz gelungene Kleidung, ihre grauenvollen Urlaubsziele, ihre scheußlichen Hobbys. Dennoch können sie gelegentlich recht amüsant sein. Man sollte nicht gleich bei der ersten Einladung zur Grillparty oder Schrankwand-Einweihung den Kopf einziehen, denn eine nähere Betrachtung ihrer Lebensweise kann durchaus zu Versöhnung und Verständigung führen.

Jeder kennt einen oder eine. Manche sogar zwei. In der Regel geben sie sich gebildet und sensibel. Einige sind sogar humorvoll. Der Umgang mit ihnen ist vor allem auf Dinnerparties, Empfängen und ähnlichen Veranstaltungen zu empfehlen. Zur Reisezeit kann man sie überall kennenlernen. Sie werden vermutlich nicht nur über den neuesten Film von Stephen Frears geistreich parlieren oder ihr Rezept für das Carré de porc impératrice preisgeben – ihre bloße Anwesenheit wird ein helles Licht auf die Toleranz des Gastgebers werfen. Wer sich mit ihnen in der Öffentlichkeit sehen läßt, gilt als aufgeschlossen – der Gipfel der postmodernen Aufklärung.

Ihre Paarungsrituale sind besonders rührend; das Setzen von Duftnoten und die niedlichen Balzlaute, die oft zu keinem Ergebnis führen, können über Wochen anhalten. Kommt es einmal zu einer Befruchtung, so geraten sie außer sich und verpflichten sich plötzlich zu Bausparverträgen und anderen vermögensbildenden Maßnahmen. Spricht man sie darauf an, trifft man einen empfindlichen Nerv und löst eine Lawine der verlegenen Ausreden und Entschuldigungen aus. Viele dieser gewöhnlichen Hetties sind der Bürde ihres Daseins kaum gewachsen.

Die Last der Normalität ist erschreckend, eine Normalität, die, hemmungslos ausgelebt, zwangsläufig zu einem Leben mit dem Qualitätsurteil „zufriedenstellend“ führen muß. Als unfreiwillige Repräsentanten der DIN- Sexualwerte, suchen sie irgendwo zwischen Pflichterfüllung und Selbstentdeckung eine Heimat. Im Zeitalter der aufbegehrenden Minderheiten muß dies zu schweren Identitätskrisen führen, schließlich mußten sie nie ihre Sexualität rechtfertigen, waren nie den Nachbarn Rechenschaft schuldig.

Diese massive Überdosis gesellschaftlicher Anerkennung setzt nicht nur ihrem Selbstwertgefühl arg zu, sondern führt auch zu unheilbaren Psychosen auf der Suche nach Befreiung, ohne jemals unterdrückt worden zu sein.

Gerade weil sie sich ihrer Sache immer sicher sind, sehnen sie sich danach, mißverstanden zu werden. Deshalb verdienen die Heterosexuellen unsere uneingeschränkte Unterstützung. Für sie ist es nicht immer einfach: die dominanten Väter, das oft intakte Elternhaus, eine erdrückende Nestwärme und die fürchterliche Feststellung als Teenager, nichts besonderes zu sein. Dazu kommt das Gefühl, überall auf Wohlwollen zu stoßen und niemanden anzuekeln, das ebenfalls erst einmal verkraftet und verarbeitet sein will. Ja, deshalb sollten wir versuchen, einander zu verstehen und zu respektieren. Außerdem sichert ein „Ja“ zur Heterosexualität nicht nur die nächste Generation von Schwuchteln und Lesben, sondern gewährleistet auch unseren Rentenanspruch. In diesem Sinne: „Hetero – find' ich gut!“

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