: AEG: Am Ende Gescheitert
Am Ende einer Talfahrt: Die Berliner AEG wird in drei Teile zerschlagen / Die französischen Jobkiller Alcatel und der ABB-Konzern bedienen sich, dem Rest droht die Abwicklung ■ Von Helmut Höge
Der Verkauf des Marienfelder Werkes, in dem derzeit noch mit 680 Mitarbeitern Antriebssysteme hergestellt werden, sowie der Reste der einstigen AEG-Zentrale am Hohenzollerndamm an ein Tochterunternehmen des französischen Konzerns Alcatel ist perfekt. Auch die EU-Kartellkommission hat jetzt zugestimmt. Zusammen mit dem gerade erfolgten Verkauf der Bahntechnik an den Weltkonzern ABB ist damit AEG in Berlin in drei Teile zerschlagen.
Der Stuttgarter Autokonzern erwarb die 1882 von Emil Rathenau in Berlin gegründete „Allgemeine Elektricitäts-Gesellschaft“ 1985, drei Jahre nachdem die AEG einen Vergleich angemeldet hatte. Trotz stets anderslautender Meldungen aus der Konzernzentrale wurde der stolz dazuerworbene Elektromulti seitdem Stück für Stück abgewickelt. Daran haben auch einige Ost-Zukäufe der AEG nach der Wende nichts geändert – so der Dresdener VEB Starkstromanlagenbau, das Hennigsdorfer Lokomotiv-Werk (LEW) und das Transformatorenwerk in Oberschöneweide (TRO).
1987 wurden die Mainzer AEG- Werke an Mannesmann verkauft, 1990 ging die AEG-Kabel Berlin an Alcatel Alsthom, 1991 die AEG-Elektrowerkzeuge an Atlas Copco, im selben Jahr wurde AEG-Olympia in Wilhelmshaven geschlossen und die AEG Mobile Kommunikation an den französischen Konzern Matra verkauft.
1992 übernahm GEC Alsthom einen Teil der AEG-Eisenbahntechnik sowie die AEG-Kanis. Der AEG-Hausgerätebereich wurde schließlich an den schwedischen Konzern Electrolux verkauft, der für 38 Millionen Mark auch den Markennamen AEG („Aus Erfahrung Gut“) dazu erwarb. Kurz darauf wurden auch noch die AEG- Zählertechnik an Kromschröder und die AEG-Lichttechnik in Springe an den Konzern Philips verkauft.
Zu dem seit einigen Monaten wegen mehrerer Korruptionsfälle schwer angeschlagenen französischen Konzern Alcatel gehört beispielsweise das deutsche Elektronikunternehmen SEL. In den von Alcatel aufgekauften Firmen wurden und werden seitdem zügig Arbeitsplätze abgebaut. Der Stuttgarter SEL-Betriebsrat spricht sogar davon, die französische Konzernmutter habe sein Unternehmen „buchstäblich ausgeplündert“.
Alcatel hat überall in Europa Produktionsstätten, zum Beispiel mehrere ähnliche Werke für antriebsorientierte Automatisierungstechnik wie das in Marienfelde, so daß der Verdacht, es gehe der Cegelec dabei primär um die AEG-Vertriebswege oder um Marktbereinigung, nicht ganz abwegig erscheint. Als die Marienfelder AEG-Betriebsräte sich unlängst mit dem Neuköllner Arbeitsamtsleiter trafen, fragte der: „Wer hat Sie noch mal gekauft? Alcatel!? Da können Sie sich ja gleich einen Strick nehmen.“
Die Betriebsräte haben für solchen Galgenhumor mittlerweile was übrig: „Als wir von unseren ehemaligen AEG-Hauptstandorten im Wedding, Brunnenstraße und Drontheimerstraße, 1984 wegzogen nach Marienfelde, hatten wir 1.200 Beschäftigte. Seitdem haben wir vier Abbau-Wellen mitgemacht. Jedesmal wurde uns versichert: Jetzt geht's aber aufwärts! Ende 1992 begründete einer unserer Manager die anstehende Kurzarbeit folgendermaßen: ,Im Prinzip sind wir erfolgreich. Es besteht jedoch das Problem, daß wir zur Zeit die Meßpunkte für den Erfolg nicht definieren können.‘“
Den Weg ins endgültige Ende sehen die Betriebsräte in der Strategie der „Business Units“. Das sei eine Art Blockentkernung des Unternehmens. Ende des Jahres, so die Erwartung der Marienfelder Betriebsräte, „werden wahrscheinlich die Aktionäre ausbezahlt und die AEG aufgelöst werden, obwohl das in Stuttgart immer noch dementiert wird.“
Die Auflösung wird schon deswegen nötig sein, weil es bald mehr AEG-Rentner als -Beschäftigte gibt, und nur die letzteren werden mitverkauft. Für die anderen trägt die AEG weiterhin die Kosten. Das war schon 1982 das Problem bei der Daimler-Übernahme gewesen: Zuvor hatte die AEG sich bei ihrem Vergleich 60 Prozent ihrer Pensionsansprüche entledigen müssen. Diese wurden von einem Pensionssicherungsverein, hinter dem die Allianz steckt, übernommen. Für die Betroffenen hatte das unter anderem die Auswirkung, daß ein Teil ihrer Rente fortan nicht mehr inflationsangepaßt war. 1962 arbeiteten allein bei der Westberliner AEG noch 24.000 Menschen, 1982 waren es noch 11.300 und 1992 noch 6.000.
Die Aufteilung der verbliebenen AEG-Werke in „Business Units“ zieht unter anderem eine erneute Dezentralisierung der verschiedenen Vertriebe nach sich. Mit der Folge, daß der Vertriebsapparat in der ehemaligen AEG- Zentrale Hohenzollerndamm eigentlich schon gar nichts mehr vertreibt. Auch dort wird Personal abgebaut.
Gleiches gilt für den AEG-Kondensatorenbau in der Sickingenstraße, wo 1994 200 von 700 Beschäftigten entlassen wurden und jetzt noch einmal die Hälfte. Auch beim Ostberliner Transformatorenwerk TRO steht eine erneute Massenentlassung bevor, derzeit arbeiten dort noch etwa 600 Mitarbeiter. Das Spandauer AEG-Werk mit 1.100 Arbeitskräften wird aufgelöst, die Hälfte der Belegschaft geht rüber in den Hennigsdorfer AEG-Schienenfahrzeugbau (ASF), wo jedoch von den noch rund 3.000 Mitarbeitern noch einmal 1.000 entlassen werden. Komplett verkauft werden soll die kleine Zählerproduktion mit 80 Beschäftigten, die die AEG noch im einst riesigen Elektoapparatewerk (EAW) in Treptow unterhält.
Für die Große Koalition ist die AEG kein Problem, sondern, wie in der Politik üblich, ein Thema. Und das läuft unter Daimler-Benz. Großspurig versprach deren Noch- Vorstandsvorsitzender Edzard Reuter – als er noch Bürgermeister-Kandidat werden wollte – die AEG-Zentrale werde von Frankfurt am Main nach Berlin verlegt. Sein AEG-Vorstandsvorsitzender Ernst Stöckl widersprach jedoch. Und Reuters baldiger Nachfolger Jürgen Schrempp wird eher die AEG-Abwicklung noch beschleunigen. 1993 machte die AEG einen Verlust von 1,19 Milliarden Mark, auch 1994 werden die Geschäftszahlen noch „Aus Erfahrung rot“ sein, wie Aktionäre scherzen.
Der Senat hat inzwischen, wenn auch vorsichtig, bei Aufgabe des Spandauer Produktionsstandortes einen Teil der einstigen Kaufsumme für das Grundstück von der AEG zurückgefordert. Nach dem damaligen Vergleich 1984 versprach der damalige Wirtschaftssenator Pieroth (CDU), 8.000 neue Arbeitsplätze an der Brunnenstraße und noch einmal so viele am neuen Standort Marienfelde zu schaffen. Für dieses Erbpachtgrundstück stellt sich nun die Frage, ob der Senat bei einer Besitzänderung auf der seinerzeit von der AEG eingegangenen „Nutzungsverpflichtung“ bestehen wird. Der neue Eigentümer von Teilen der AEG heißt „Cegelec AEG Anlagen und Antriebssysteme GmbH“ und ist eine deutsche Tochter der Cegelec S.A. Paris, an der die Alcatel mit 51 und die AEG mit 49 Prozent beteiligt ist. Die restlichen AEG-Teile firmieren seit einiger Zeit unter „AEG Daimler Benz Industries“. Dazu gehören die Hennigsdorfer Schienenfahrzeugbauer und die dorthin umgesiedelten Spandauer AEGler nicht mehr: Gerade gaben Edzard Reuter und der Vorstandsvorsitzende der Asea Brown Boveri (ABB), Percy Barnevik, bekannt, daß der Bahnbereich von ABB und der von AEG in einem neuen Gemeinschaftsunternehmen, der „ABB Daimler Benz Transportation“, zusammengefaßt werden. Die Stuttgarter zahlten den Schweden dafür 1,3 Milliarden Mark. Vorstandschef wird ABB- Manager Kaare Vagner, AEG- Chef Stöckl wird Aufsichtsratsvorsitzender der neuen Gesellschaft.
Die Verhandlungen mit den Chinesen wegen des U-Bahnbaus in Shanghai mußten unterbrochen werden, weil die Vertragsgestaltung jetzt in schwedischen Händen liegt: „Das hat uns kalt erwischt“, sagt ein Hennigsdorfer Ingenieur, „wir wußten davon nichts. Da auch ABB im Bahnbereich erhebliche Überkapazitäten hat, bedeutet das neue Gemeinschaftsunternehmen für uns, daß hier noch einmal Arbeitsplätze in Größenordnungen abgebaut werden. Aber es wird ein neues Verwaltungsgebäude errichtet – wegen der Förderungsmittel in Brandenburg.“ Die zuvor zwangsfusionierten und mit Entlassungen beschäftigten Hennigsdorfer und Spandauer Betriebsräte haben immer noch „Kommunikationsprobleme“, aber sie sind schon mal in Kontakt mit dem Prager Werk CKD getreten: „Die mechanische Fertigung, beispielsweise der Motorenbau, wird perspektivisch immer mehr nach dorthin verlegt werden.“
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