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„Die Touristen finden sich nicht mehr zurecht“

■ Abenteuerliche Argumente gegen die Umbenennung der Reichssportfeldstraße

„Das hat überhaupt nichts mit links oder rechts zu tun. Wir sind einfach dagegen, daß über die Köpfe der Bürger hinweg entschieden wird.“ Werner Notz vom „Bürgerbund gegen den Parteien- und Bürokratenstaat“ gibt sich alle Mühe, seine Organisation vom Verdacht der Rechtslastigkeit zu befreien.

Daß sich der Bürgerbund gegen die Umbenennung der Reichssportfeldstraße in Charlottenburg stark macht, bei den Änderungen von Straßennamen in Ostberliner Bezirken dagegen keinen Finger rührt, hat, laut Notz, eine plausible, „politisch neutrale“ Erklärung: „Wir haben in Ostberlin noch keine Bezirksverbände.“

Überhaupt sind alle, die gegen die Umbenennung der Reichssportfeldstraße agieren, geflissentlich bemüht, sich verbal von Nationalismus und Deutschtümelei zu distanzieren. Dabei ist schon Einfallsreichtum in der Argumentation gefragt, denn die Befürworter der Umbenennung haben gründlich recherchiert. Seit zwei Jahren kämpfen Gottfried Arend und Otto Eigen, beide Anwohner der Reichssportfeldstraße, für eine Umbenennung in Flatow Allee. Die Flatow-Cousins, Olympiasieger von 1896, wurden wegen ihres jüdischen Glaubens von den Nazis im KZ Theresienstadt umgebracht. Im November letzten Jahres beschloß die Bezirksverordnetenversammlung von Charlottenburg gegen die Stimmen von CDU und „Republikanern“ schließlich, die Straße nach den Sportlern und Faschismusopfern zu benennen.

Kaum war der Beschluß gefaßt, machte der Bürgerbund mobil. Auf einer Anwohnerversammlung sollte der Protest gegen die Umbenennung organisiert werden. Als Otto Eigen dort gesehen wurde, tönte ein „Da ist ja der Schuldige“ durch den Raum. „Ich habe mich gefühlt, als wäre die Zeit um fünfzig Jahre zurückgedreht“, erinnert sich Eigen. Als ein Anwohner protestlos vortragen durfte, daß heute schon wieder achtzig Prozent des Kapitals in jüdischem Besitz seien, verließ Eigen die Versammlung.

Das Ergebnis der Veranstaltung: Beim Tiefbauamt Charlottenburg gingen bislang knapp 350 Widersprüche gegen die Namensänderung ein. Stadtoberinspektor Gerald Zeisig, zuständig für die Bearbeitung der Widersprüche, räumt den protestierenden Anwohnern jedoch keine Chance ein. „Wir haben gute Gründe, den Widerspruch zurückzuweisen“, so Zeisig. Die Organisatorin der Widerspruchs-Kampagne, Ursula Kroll, stützt sich vor allem auf ein Argument: Der Name sei nicht politisch sondern wegweisend. „Die Straße heißt so, weil sie auf das Reichssportfeld führt. Bei einer Umbenennung würden sich die Touristen nicht mehr zurechtfinden“, meint sie. Dabei scheint sie zu vergessen, daß das Reichssportfeld bereits 1950 in Maifeld umbenannt wurde. Gegen eine Ehrung der Flatow-Cousins habe sie nichts einzuwenden, nur eben nicht in ihrer Straße, so die Aktivistin. „Schließlich waren wir ein Reich. Das ist nun mal unsere Geschichte“, gibt sich Kroll geschichtsbewußt. „Damit kein falscher Eindruck entsteht, ich bin seit 49 Jahren SPD-Mitglied. Aber die haben sich überhaupt nicht um unsere Meinung gekümmert“, beklagt sich Kroll.

Wie gut also, daß es den Bürgerbund gibt, der noch ein weiteres gewichtiges Argument gegen die Namensänderung zu bieten hat. Nach dem bürgernahen Motto „Wer soll das bezahlen“, wird an die Kosten für die Änderung von Briefbögen, Visitenkarten und Stempeln erinnert. „Ich bin sprachlos und zutiefst erschüttert, daß man angesichts der Leiden unzähliger Opfer solche lapidaren Argumente benutzen kann“, kommentiert Gottfried Arend die Äußerungen des Bürgerbundes. Gesa Schulz

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