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Orte: Landgänge Von Claudia Kohlhase

Es gibt Übergänge, die führen nicht nur von hier nach da, sondern direkt nach Posemuckel. Solche Übergänge nennt man Landgänge, und sie kommen direkt nach den Übergängen nach Amerika, was den Verblüffungswert angeht. Dabei liegt das Neuland in dem Fall gleich um die Ecke, man kann auch einfach Land dazu sagen. Jedenfalls handelt es sich um einen Umzug, und zwar dahin, wo sich Füchse und Hasen derart gute Nacht sagen, daß man schon im Stehen einschläft.

Dabei ist noch gar niemand richtig angekommen, sondern mental erst am untersten Treppenabsatz oder schraubt gerade Bettgestelle zusammen, die nicht zusammenpassen.

Vermutlich soll der Mensch seßhaft sein und mindestens 30 Jahre fest vertäut bleiben, dann passiert auch nichts. Dabei ist Umziehen praktisch, weil unerfreuliche Kommoden wie von selbst unterwegs liegenbleiben können. Oder Porzellan zerbricht, das schon lange zerbrechen wollte. Wenn nichts zerbricht, kann man von mir aus auch extra Porzellan wegschmeißen oder den wilden Tieren zum Fraß vorwerfen, jedenfalls, wenn man aufs Land zieht. Fast hält das aber kein Schwein aus, daß auf einmal Rehe an einem vorbeiziehen. Wofür hat man sich jahrelang redlich in der Stadt rumgeschlagen und einen Rollo-Magen entwickelt, um plötzlich über Rehe zu stolpern, die einem nichts nachtragen.

Wahlweise kommt auch der Fuchs, um wie gesagt gute Nacht zu sagen, und dann geht man auf der Stelle schlafen, damit er sich nicht grämt. Außerdem ist es auch dunkel, und zwar sehr. Eventuell verdirbt einen das Land, speziell der Wald, die Wiese, für städtische Häme; und es ist eine interessante Frage, ob einen auch Füchse und Hasen wirklich so korrumpieren können, daß man der Welt auf einmal lobhudelnd gegenübersteht und spazierensieht, statt genau hinzukucken. Aber wenn Kalle kommt und den Herd einbaut, ist eben der Herd Tagesthema.

Kalle soll ein Handwerker sein, aber Kalle ist ein Philosoph von Waldrang und kennt nicht nur jede Schraube im Umkreis, sondern das Leben. Auch an Schönheit kann man sich gewöhnen, sagt Kalle etwa, wenn ich unter der hundertjährigen Eiche ein dummes Gesicht mache. Na gut, denke ich dann, und lasse bis dahin noch unschön meinen städtischen Toast verbrennen, weil wahrscheinlich kein Mensch auf dem Land Toast ißt, sondern Brot, das bis in den inneren Kern hinein kracht und spreißelt.

Jedenfalls kam heute morgen Herr Kaiser von der Heimatzeitung, um sich nach meinen Abo- Prämienwünschen zu erkundigen, und ob die Bohrmaschine auch links und rechts rum drehen darf oder nur links. Herr Kaiser klopft nur deswegen nicht, damit man nicht herein sagen muß. Was für ein Glück aber, daß Herrn Kaiser hier alles so gut gefällt, wo er schon mal drin ist, und der Schnaps auch.

Nach Herrn Kaiser kommt Heinzi und setzt den Gitterzaun um. Das macht Heinzi mit links, obwohl er nur Kraft aus seiner Zigarette saugt. Dafür freut sich Heinzi diebisch, daß er den Leichen ein letztes Schnippchen geschlagen hat, weil der Zaun vom Friedhof kommt. Es ist beruhigend, wie hämisch Heinzi bei sowas kucken kann. Also geht das hier doch noch.

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