: Das blaue Wunder
■ Auf den "Mainzer Tagen der Fernsehkritik" wurden die Gefahren der neuen Digitaltechnik diskutiert
Ob Peter Kahl von der Telekom, Albrecht Ziemer vom ZDF oder Gottfried Zmeck aus der Chefetage von Kirch: Der medienpolitisch interessierte Kongreßtourist kann allmählich lippensynchron mitsprechen, was diese Herren in Sachen Medienzukunft von sich geben.
Doch diesmal boten die „Mainzer Tage der Fernsehkritik“ ein wenig Neues im ewigen Lamento um die 500 interaktiven Kanäle. Es scheint so, als fingen nach den Ingenieuren und den Medienmanagern nun endlich auch die Medienmacher an, sich mit Chancen und Risiken der neuen Medienwelt adäquat zu beschäftigen.
Zwar mußte man sich am ersten Tag noch durch die sattsam bekannten Visionen von Fernsehveranstaltern, Medienkonzernen, Medienpolitikern und Versandhausstrategen quälen, der zweite Tag brachte die Diskussion dann aber tatsächlich voran: Endlich einmal wurde reflektiert, welche Konsequenzen die Digitalisierung des Fernsehens auch für seine Inhalte hat. Aufhänger ist das neue „virtuelle Studio“, das zwischenzeitlich von der „Deutschen Welle“ über „WDR-Computer-Club“ bis hin zu ZDF-„WiSo“ ausprobiert worden ist.
Warnhinweis: Digitale Fernsehbilder ...
Hinter dem neumodischen Wort versteckt sich eine Studiodekoration, die vom Computer erzeugte Elemente zusammenfügt und mit den ModeratorInnen im Studio kombiniert. Licht und Schattenwurf stimmen perfekt überein, und selbst Zooms sind jetzt dank Echtzeitberechnung der Bilder durch den Grafikcomputer durchführbar. Die ModeratorInnen ihrerseits agieren lediglich in einem total blau ausgekleideten Ministudio. Virtuelle Erdbälle oder Relieflandkarten des Talkessels von Sarajevo tauchen vor ihnen auf, eine Projektionswand für den Einspielfilm vom Korrespondenten schießt imaginär aus der Erde. Vollkommen neue Möglichkeiten zur Visualisierung von Informationen ergeben sich – so freuen sich die Technikoptimisten.
Die Vorteile des virtuellen Studios liegen auf der Hand: Dekorationen können in ungeahnter Geschwindigkeit gewechselt werden. Kulissen müssen nicht extra neu gebaut werden, sie werden aus der billigen Bilddatenbank in irgendeinem, möglicherweise auch externen Rechner eines Spezialanbieters abgerufen. Was bleibt da übrig von der Glaubwürdigkeit des Mediums Fernsehen? Der Dokumentarfilmer Peter Krieg sprach in Mainz gar von einem Paradigmenwechsel: Der Überbringer der Nachricht sei heute wichtiger als die Nachricht selbst. Wie seriös ist er als Quelle?
Angesichts der Leichtigkeit, mit der heutzutage auch bewegte Bilder selbst für Fachleute unkenntlich retuschiert werden können, mahnte Helmut Reize vom ZDF einen Warnhinweis der Aufsichtsbehörden an – nach dem Motto: „Die Landesmedienanstalt warnt: Digitale Bilder beeinträchtigen Ihr Urteilsvermögen!“
Ossi Urchs, ehemaliger Philip- Morris-„Minister of tomorrow“, und auch Starphilosoph Friedrich Kittler sahen das Problem weit weniger dramatisch: „User werden sich die Bilder runterladen und an ihrem Bildschirm manipulieren. Von daher werden sie zwischen Echt und Unecht unterscheiden können.“ Nur werden wohl die wenigsten Computerfreaks, geschweige denn die Normalverbraucher, Zeit haben, permanent Fernsehbilder in ihrer Freizeit zu retuschieren.
Christoph Maria Fröhder, zu Golfkriegszeiten erster ARD- Journalist in Bagdad, warnte davor, daß angesichts der zunehmenden Konkurrenz die Versuchung wächst, daß ein profilierungssüchtiger Nachrichtenredakteur die Realität virtuell verfremdet. Er hält es für möglich, daß die fehlen-
... beeinträchtigen Ihr Urteilsvermögen
den Bilder beispielsweise vom aufblitzenden Messer beim Attentat auf Monica Seles demnächst in photorealistischer Manier nachgeliefert werden. Fröhder forderte einen neuartigen Ehrenkodex für die Bildberichterstattung, nach dem die Manipulatoren damit rechnen müssen, aus dem Beruf zu fliegen und bei keiner seriösen Sendeanstalt noch mal einen Job zu bekommen.
Die Diskussion um journalistische Ethik im digitalen Fernsehen hat in Mainz gerade erst begonnen. Jürgen Bischoff
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen