: VerbraucherInnen unsicher
■ Die Naturkostbranche ist im Umbruch / Die Stärke des Handels liegt im ökologischen Gesamtsortiment / Einkommensschwache Haushalte sind allerdings kaum erreichbar
Die Naturkostbranche wächst. Allein 1995 sollen weitere 8.200 Betriebe des Ökolandbaus unter die Dächer der BNN, von Demeter, Bioland oder Naturland ein neues Zuhause finden. Die Naturkostverkäufer teilen sich heute einen Marktanteil von fünf Prozent im gesamten Lebensmittelbereich.
Doch der Ökohandel ist gespalten. Die einen verkaufen neben der Bioware noch Weltanschauung, die anderen träumen von Busineß und Umsatz. Während lange Zeit als klassische Konkurrenten die Reformhäuser galten, drängen jetzt auch zunehmend Lebensmittelketten auf den Markt. Die taz sprach mit Marita Odia von den „Bundesverbänden Naturkost Naturwaren“. Außerdem baten wir vier der branchengrößten Lebensmittelketten um kurze Stellungnahmen (siehe Kästen) hinsichtlich ihres Verhältnisses zu Biolebensmitteln: Edeka, Metro, Tengelmann und Rewe. Die beiden erstgenannten allerdings scheinen dazu keinerlei Verhältnis zu haben, da sie eine Auskunft verweigerten.
taz: „Naturkost für alle“ war das Motto der 70er Jahre. Die Stärke der Szene war, daß man unter sich blieb: Man kaufte Bio- weine von Michelle, weil die sie persönlich mit dem R4 aus Frankreich holte, und man kaufte Biobrot, weil Bäcker Berti eben ein netter Kerl war. Wo liegen heute die Stärken des Biohandels?
Marita Odia: Darin, daß er Handelsbeziehungen mit Partnern aufgebaut hat, die ein gleichbleibend hochwertiges Angebot bereithalten und deren Qualitätskriterien nachvollziehbar sind. Doch während einst der persönliche Kontakt und die Bekanntschaft mit dem Händler ein Qualitäts- und Vertrauensmerkmal war, ist der Begriff von „Qualität“ heute strukturiert. Natürlich sind auch heute noch die persönlichen Beziehungen zum Händler häufig Grundlage für den Einkauf. Aber heute ist es für einen Ladner kaum noch möglich, alle seine Lieferanten und Kunden persönlich zu kennen. Das funktioniert in Geschäften, die direkt von benachbarten Biobauern ihre Ware beziehen. Und auch hier müssen die Kriterien klar sein, nach denen biologische Produkte angebaut, verarbeitet und deklariert werden müssen. Grundlage dafür bieten die EU-Bio-Verordnung, die Richtlinien der ökologischen Anbauverbände und die Bundesverbände Naturkost Naturwaren.
Wer ist denn größter Konkurrent: Reformhaus oder Supermarkt?
Das läßt sich nicht sagen. Kunden kaufen nicht mehr nur in einer Handelsform, sondern sowohl im Supermarkt als auch im Naturkosthandel und Reformhaus.
Der Reformhandel baut sein Sortiment mit Waren aus kontrolliert biologischen Handel derzeit aus. Insofern könnte man ihn als Konkurrenz betrachten, doch richtet er seinen Schwerpunkt auf eine andere Klientel und profiliert sich über Gesundheitsprodukte im weitesten Sinne. Bei uns sind es ökologische, vor allem frische Waren wie Obst, Brot, Käse und Gemüse.
Für Bioladner gibt es den immerwährenden Selbstzweifel: „Was macht uns unverwechselbar?“
Unverwechselbar sind das ökologische Sortiment – im Durchschnitt etwa 2.000 Produkte – und das Beratungsangebot. Das leistet derzeit keine konventionelle Handelskette.
60 Prozent der Bevölkerung sind Gelegenheitskäufer hinsichtlich Ökowaren. Wer ist denn typischer Bioladenkunde?
Eine Studie zeigte uns, daß typische Naturkostkunden aus mehreren Bereichen kommen: Der größte Anteil ist nicht der „klassische Müsli“, sondern es sind Menschen aus einem technokratisch-liberalen Milieu mit qualifizierter Ausbildung oder abgeschlossenem Studium, Ingenieure, Verwaltungsangestellte und Dienstleister. Diese Kundengruppe ist doppelt so groß wie die aus dem sogenannten alternativen Milieu, also aus der Umweltbewegung, in der unsere Wurzeln liegen.
Es wird oft suggeriert, Bioladnern gehe es mehr um Ideale als um Busineß. Da sprechen die Preise allerdings eine andere Sprache: Der Preisabstand zu konventionellen Produkten beträgt bis zu 50 Prozent. Ist das Koketterie mit Luxusgütern?
Nein. Aber die Preise sagen ja auch nichts darüber aus, was der Händler letztlich damit verdient ...
... was mir als Kunde ja auch erst mal egal ist. Mich interessiert, daß ein Bioladen einfach teuer ist.
Entscheidet sich der Kunde für Ökoware, muß er mehr bezahlen, weil die Herstellung der Rohstoffe personalintensiver ist. Wenn Sie Unkraut mit der Hand zupfen, hat das einen anderen Preis, als wenn Sie mit der Spritzpistole darübergehen.
Wie errechnet sich denn beispielsweise der Preis und die Gewinnspanne von einem Liter Öko- milch?
Eine günstige Flaschenmilch kostet im Supermarkt 1,79 Mark, ein günstiger Preis für eine biologisch erzeugte Milch liegt bei 1,99 Mark. Grundnahrungsmittel mit einem annähernd vergleichbaren Qualitätsstandard unterscheiden sich also nicht mehr erheblich im Preis.
Beim Biobauern entstehen Mehrkosten durch die Fütterung seiner Kühe mit Futter aus eigener biologischer Produktion. Dafür bekommt er einen Bioaufschlag, der zwischen 10 und 15 Pfennigen pro Liter auf den durchschnittlichen Milchpreis liegt.
Trotzdem sind Kunden mit schmalem Etat für den Naturkosthandel unerreichbar. Nicht jeder kann es sich leisten, für ein Pfund Butter vier Mark zwanzig zu zahlen.
Auf das einzelne Produkt bezogen mag das stimmen. Wir haben aber mehrere Untersuchungen, die feststellen: Wenn sich jemand ökologisch ernährt, dann ist das nicht wesentlich teurer als eine konventionelle Ernährung. Wenn ich mein Ernährungskonzept umstelle, beispielsweise meinen Fleischkonsum reduziere und mich mit eiweißreichen Hülsenfrüchten ernähre, dann gebe ich weniger Geld aus als für hochgradig verarbeitete Produkte.
Diese Rechnung verstehe ich nicht.
Wenn Sie im Bioladen die gleichen Warengruppen kaufen wie im Supermarkt, ist das Preisniveau sicher höher. Dahinter steckt aber die Frage, warum konventionelle Lebensmittel so billig sind.
Die EU fördert durch ihre Subventionen natürlich billige Lebensmittel, bei denen man sich fragen muß, welche ökologischen Folgekosten damit produziert werden: Milch-, Fleisch- und Butterberge, Gentomaten. Wenn man einen ganzheitlichen Ansatz hat, dann haben die Preise einen anderen Kontext.
Demnach müßte man also konventionell angebaute Lebensmittel verteuern, um die ökologischen und ökonomischen Folgekosten transparent zu machen?
Natürlich.
„Wir Naturkosthändler können uns sowieso nur an kritisch denkende Verbraucher wenden“ ist eine oft gehörte These. Der Handel macht es den Kunden aber auch extra schwer: Will ich wirklich „öko“ kaufen, muß ich ein Dutzend unterschiedlicher Markenzeichen auswendig kennen. Warum gibt es nicht längst ein einheitliches Label?
Das ist sicher ein Problem. Wir haben jetzt ein Zeichen entwickelt, das nicht nur die Qualitäten eines Anbauverbandes herausstellt, sondern auch Aussagen über Rohstoffe und Produktionsbedingungen umfaßt. Insofern ist es genauso für Biokost als auch für Naturtextilien oder Kosmetika nützlich.
Wann wird es eingeführt?
In der zweiten Hälfte dieses Jahres.
Die diesjährige Messe „Biofach“ war größer als je zuvor. Darüber klagten einige Ladner: Die Abgrenzung zum konventionellen Verkäufer sei nicht eindeutig, man sei nicht glücklich über die Leute mit Handy und Nadelstreifenanzug, manchen gehe es nicht mehr um Ideale, sondern um Busineß. Ist Naturkost also doch eine Frage der Ideologie?
Wenn die Großen bei den Kleinen abkupfern, könnten die eigentlich stolz darauf sein. Trotzdem sehen das die Einzelhändler mit Sorge, weil sich da eine ernsthafte Konkurrenz entwickeln könnte. Ich denke, diese Angst ist bezeichnend für die Umbruchsituation, in der wir im Moment stehen. Wir sind aus der Ökonische heraus, Bioprodukte sind für den gesamten Markt von Interesse und handelbar. Entscheidend ist jetzt die Frage, wie man sich entwickeln muß, um auf dem Markt wirklich bestehen zu können.
Nämlich wie?
Indem sich der Naturkosthandel als Fachhandel präsentiert, der zum ökologischen Gesamtsortiment auch einen ansprechenden Service nebst Kundenberatung leistet.
Mehr Konkurrenz heißt aber auch eine größere Verfügbarkeit von Waren aus biologischem Anbau und damit Vorteile für die allgemeine Gesundheit und Ökologie. Warum gibt es nicht viel mehr große Naturwarenläden oder gar Kaufhäuser? Damit würde man doch alles erreichen: Betonung des eigenen Profils, Reduzierung der Preise, Ansprechen neuer Kunden, die lieber unter einem Dach kaufen, statt von Laden zu Laden zu hetzen ... ?
Weil man ein solches Geschäft nicht eröffnen sollte, ohne zu prüfen, ob es auf dem Markt bestehen kann. Würden allerdings alle Leute, die behaupten, sie kaufen ökologische Produkte, das tatsächlich auch tun, dann hätten wir schon viel mehr solcher Naturwarenkaufhäuser. Aber diese Schwelle haben wir noch nicht überschritten. Viele Verbraucher sind noch unsicher hinsichtlich des Nutzens und der Attraktivität ökologischer Produkte.
Große Bioläden rentieren sich also nicht?
Zahlreiche Naturkostgeschäfte haben sich in den letzten Jahren von bislang 60 oder 80 Quadratmeter Ladenfläche auf 120 oder gar 240 Quadratmeter vergrößert. Allein dadurch sprechen sie schon ganz andere Kundenkreise an.
Nun gibt es Stimmen, die sich gegen den Shop-in-Shop-Handel wehren, also gegen eigenständige Läden, die sich in Supermärkte einmieten. Bei einer besseren Präsenz der Produkte ließe sich der Absatz von Ökowaren wesentlich schneller vergrößern. Zöge ein Angebot im Supermarkt nicht auch Kunden in Bioläden, weil sie ihre Schwellenangst verlören?
Vorerst bin ich da skeptisch. Wir haben bislang noch zuwenig Erkenntnisse über die Erfolge der Bioecken in Supermärkten. Ich höre zwar immer, es würde sich rentieren, aber genaue Zahlen liegen uns nicht vor. Außerdem: Wer Bioware im Supermarkt kauft, unterstützt auch alle anderen Produkte des Sortiments – auch die ökologisch schädlichen. Wer hingegen im Naturkostfachhandel oder auf Wochenmärkten kauft, unterstützt das Konzept der ökolischen Anbau- und Produktionskette.
In anderen Länder – Dänemark, Schweiz, Großbritannien – scheint das Thema Biolebensmittel im Supermarkt kein Problem zu sein. Hat sich die deutsche Ökoszene in den 80er Jahren zu sehr am alternativen Image gelabt, statt sich auf Expansion und breite Verbraucherschichten einzustellen – und widerspricht damit dem eingangs genannten Motto: „Naturkost für alle“?
Das sehe ich nicht so. Der Naturkosthandel hat in den 80er Jahren die Absatzstellen für ökologische Produkte erst geschaffen: Nirgendwo ist der Naturkostfachhandel so ausgeprägt wie hier. Hinzu kommt das Angebot der Direktvermarkter ab Hof. Das ist einzigartig und unterscheidet Deutschland von anderen Staaten. In diesem Sinne verstehe ich den Fachhandel gegenüber den Supermärkten nicht als Bremser, sondern als Förderer. Hinzu kommt die Frage, ob die Supermärkte durch ihre Handelspolitik den ökologischen Landbau und damit Qualität tatsächlich fördern. Der Handel mit dem Supermarkt erfordert an 365 Tagen im Jahr, daß das gleiche Produkt in gleicher Menge verfügbar ist. Eine ökologisch wünschenswerte und durch regionale Unterschiede von Land und Klima bestimmte Sortenvielfalt – zum Beispiel der Anbau regionaler Apfel- oder Kartoffelsorten – können diesen Anforderungen kaum gerecht werden. Das kann der Fachhandel besser.
Vielen Dank für das Gespräch.
Interview: Andreas Lohse
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