: Die Symbolik des Erinnerns
■ Mißtrauen und dunkle Vorahnungen am nationalen Trauertag in Ruanda
Berlin (taz) – Es ist wohl alles symbolisch, was ein Jahr nach dem Beginn des Völkermordes in Ruanda geschieht. Mit schlichten Holzkreuzen geschmückt sind gestern 6.000 aus Massengräbern geborgene Leichen feierlich auf einem Hügel beigesetzt worden: Gedenken an den Tod von Hunderttausenden und gleichzeitig Symbol für die materielle Armut in dem leergeplünderten Land. Der erste Völkermordprozeß in Kigali wurde zwar eröffnet, aber nach 45 Minuten wegen schlechter Vorbereitung der Verteidigung abgebrochen: Ein erster Schritt zur Vergangenheitsbewältigung und gleichzeitig der schlagendste Beweis dafür, wie schwer Ruanda es mit seiner Geschichte noch hat.
Sechs Völkermordangeklagte standen am Donnerstag abend vor dem Gericht von Kigali, fünf beteuerten ihre Unschuld. Einer nicht: „Ich habe 900 Menschen umgebracht und erwarte, daß ich hingerichtet werde“, sagte Musoro Ndura. Wie viele Mörder er wohl kennt, die am Leben bleiben werden? Viele Schuldige laufen frei herum, viele Gefängnisinsassen trifft keine Schuld – selbst François-Xavier Nsanzuwera, Oberstaatsanwalt in Kigali, sagt: Ein Fünftel der wegen Völkermord Inhaftierten ist wohl unschuldig. Aber welches Fünftel? Es gibt fünf Untersuchungsrichter in Kigali und zehn aktive Rechtsanwälte. Und es gibt Tausende Mörder. Wie soll es da Gerechtigkeit geben? „Wenn der Richter ein Tutsi ist, bin ich tot. Wenn er Hutu ist, bin ich okay“, sagte der jüngste der Angeklagten, der 17jährige Ngomayuba, vor seiner Fahrt ins Gericht. Nicht Schuld, sondern ethnische Zugehörigkeit entscheidet – eine vielleicht begründete, aber perfide Überzeugung vieler Ruander, die die Saat für den nächsten Bürgerkrieg legen könnte.
Ngomayuba – der seine Unschuld beteuert – hat sogar einen Anwalt: Er wird von der UNO gestellt. Die UNO ist in Ruanda zur Zeit sehr rührig. 5.500 Blauhelmsoldaten und zivile Mitarbeiter hat sie entsandt, zum Beispiel 34 ehrenamtliche Menschenrechtsbeobachter. Da kommen böse Gedanken auf. Ein UN-Anwalt verteidigt Völkermordangeklagte in Kigali – das UN-Völkermordtribunal aber ist immer noch nicht funktionsfähig. Beobachter achten auf die Menschenrechte im heutigen Ruanda, aber die Opfer des Völkermordes genossen vor einem Jahr keine UN-Verteidigung, obwohl damals Blauhelme in Ruanda standen. Sie evakuierten die Weißen und ließen die Schwarzen, die bei ihnen um Schutz nachsuchten, zurück. Nun attackieren Tutsi-Medien in Ruanda die UNO und fordern sie zum Abzug auf, mit kaum verhüllter Regierungsunterstützung. Damals habe die Welt weggeguckt, heute sorge sie sich um die Täter, heißt es. Das stimmt. Und es vergiftet das Klima.
Die aufgeladene Gegenwart überschattet die Vergangenheit. Es findet Gedenken statt, aber getrennt. In Ruanda wurden gestern Tote begraben. Der UN-Sicherheitsrat befolgte gestern eine Schweigeminute. Trauerfeiern gab es auch unter den nach Zaire geflohenen Ruandern. Aber die exilierten Soldaten des alten ruandischen Regimes, die sich in den letzten Wochen mit ganzen Flugzeugladungen von Waffen hochgerüstet haben, gedachten nicht des von ihnen mitverübten Völkermordes, sondern ihres geliebten toten Präsidenten Habyarimana. Vielleicht dachten sie auch noch mehr. Nächstes Jahr in Kigali? Dominic Johnson
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