■ Der Berliner Klimagipfel verabschiedete zum Abschluß ein eher laues "Verhandlungsmandat": In den nächsten Jahren soll weitergeredet werden, aber es bleibt offen, mit welchem Ziel...: Nebulöse Kompromisse, klimatische Erwärmung
Der Berliner Klimagipfel verabschiedete zum Abschluß ein eher laues „Verhandlungsmandat“: In den nächsten Jahren soll weitergeredet werden, aber es bleibt offen, mit welchem Ziel. Die Umweltgruppen setzen trotzdem nicht auf Protest oder Gegengipfel, sondern auf langsame Verhandlungserfolge
Nebulöse Kompromisse, klimatische Erwärmung
Drei Jahre lang wurde über den Schutz des Klimas verhandelt, sind Hunderte von Delegierten von Genf, nach New York und zurück gejettet. In Berlin dann sollte es konkret werden. Was aber gestern verabschiedet wurde, ist wieder nur eine vage Absichtserklärung. Alle Beteiligten versichern, daß sie sich um die Erarbeitung eines völkerrechtlich verbindenden Protokolls bis zur übernächsten Konferenz 1997 in Japan bemühen wollen. In den Verhandlungen dafür soll es „unter anderem“ um eine Reduzierung der CO2-Emissionen der Industrieländer gehen. Um wieviel – das steht nicht in dem Papier. Und auch der Zeitrahmen ist offengelassen: Die Jahre 2005, 2010 und 2020 werden lediglich als Beispiele genannt. Im Grunde ist man auf der diplomatischen Ebene keinen Schritt weiter als in Rio, während die ersten Pazifikinseln abzusaufen drohen.
Schon verhandelt die Regierung der Malediven über die Möglichkeiten einer Evakuierung der Bevölkerung. Die Deutschen sind an dem klaren Mißerfolg nicht unschuldig. Denn Angela Merkel setzte als Leiterin der Konferenz auf Harmonie. Sie schaffte es bis zum Schluß nicht, den entscheidenden Punkt der Geschäftsordnung zu klären: Mit welchen Mehrheitsverhältnissen wird abgestimmt? So mußten alle Delegierten bei ihrer Suche nach Kompromissen ständig ein Veto von irgendeinem Staat einkalkulieren. Das sorgte letztlich dafür, daß das Ergebnis unverbindlich blieb.
Selbst Vertreter von Umweltorganisationen räumen zwar ein, daß Angela Merkel in ihrer Position wenig andere Möglichkeiten hatte. Aber sie hätte die deutsche Delegation anweisen müssen, auf den Tisch zu hauen und die Blockierer klar zu benennen: Saudi-Arabien, Kuwait und die USA. Statt dessen war ständig von Fortschritten die Rede, wo sich nichts bewegte. Erst Kanzler Helmut Kohl hat am Mittwoch, für viele überraschend, das Tabu gebrochen. Merkels Worthülsen werden insbesondere die Vertreter aus den USA sehr gefreut haben: Solange von Gemeinsamkeiten die Rede war, konnten sie sich auf ihre Position versteifen. Sie riskieren nicht einmal eine öffentliche Verstimmung, über die ihre Medien berichten würden. Insofern konnte das Thema Energie in den USA auch weiterhin als ein rein innenpolitisches betrachtet werden. Und da ist der Clinton- Regierung völlig klar, was die Leute im eigenen Land wollen: weiterhin billiges Benzin. Daß mit der Bedrohung des Weltklimas kein Blumentopf und schon gar keine Präsidentschaft zu gewinnen ist, hat Vizepräsident Al Gore bereits 1987 bei seiner Kandidatur für das höchste US-Amt mit aller Deutlichkeit erfahren – damals setzte er in seiner Kampagne auf das Thema „globales Treibhaus“ und mußte sehen, daß seine Landsleute sich nur für die nationalen Zapfsäulen interessierten. Nicht einmal marginal sei das Thema, mit dem er auf Stimmenfang gehen wollte, spöttelte damals der Kolumnist George Will. Der american way of life basiert eben bis heute auf einer enormen Energieverschwendung. So stellte der Leiter der US-Delegation, der Staatssekretär Timothy Wirth, gestern denn auch befriedigt fest, daß das Papier von allen so interpretiert werden könne, wie sie es wollten.
Aber auch der Mehrheit der G77 war in Berlin nicht der Schutz des Klimas in erster Linie ein Anliegen. Sie wollten die klare Festschreibung, daß sie für den Schutz der Atmosphäre nicht zur Verantwortung gezogen werden können. Deshalb war der Vorschlag der vom Versinken bedrohten kleinen Inselstaaten, ausschließlich die Industrieländer zu Einsparungen zu verpflichten, klug. Denn nur unter dieser Voraussetzung waren Länder mit enormen Wirtschafts- und Energiezuwachsraten wie Indien und China bereit, gemeinsam mit den anderen Entwicklungsländern zu marschieren. Die USA haben in den letzten Tagen immer wieder darauf gesetzt, diese Klammer der G77 zu sprengen. Dabei ging es den Delegierten vermutlich weit weniger darum, Südkorea und China tatsächlich zum Klimaschutz zu verdonnern, als vielmehr um die Überlegung, ein Faustpfand im Verhandlungspoker zu haben: Verzichten wir auf die Einbeziehung der Schwellenländer beim Reduktionsziel, verzichtet ihr auf konkrete Minderungszahlen und Zeitpunkte. Und genauso kam es schließlich: Die Entwicklungsländer werden explizit von jeder Verpflichtung freigestellt, während Reduktionsziel und -zeitpunkt im Nebel bleiben.
Bei der Frage des sehr umstrittenen Joint Implementation, also der Möglichkeit für Industrieländer, in einem Drittweltland ein Kraftwerk zu bauen und sich die durch die modernere Technik eingesparten CO2-Emissionen anrechnen zu lassen, konnten die USA durchsetzen, daß es bis zum Ende des Jahrtausends Pilotversuche gibt. Allerdings sollen sie in der ersten Phase noch nicht angerechnet werden. Hierbei hatten sich die USA konkrete Zusagen gewünscht. Aber nachdem die G77 noch bei der letzten Vorbereitungskonferenz in New York eine Ablehnung ohne Wenn und Aber beschlossen hatten, war dieses Mal für die Regierung in Washington nicht mehr herauszuholen. Immerhin aber sahen sich in Berlin einige Länder aus dem US-Hinterhof dazu genötigt, die Diskussion innerhalb der G77 noch einmal zu eröffnen. Sie mußten fürchten, daß der große Bruder die bisher als technische Hilfe deklarierte Unterstützung ansonsten streicht.
Konnte bei dem Berliner Gipfel überhaupt mehr herauskommen als das jetzt verabschiedete Papier? Die Crux liegt tatsächlich im Abstimmungsmodus. Wenn alle zustimmen müssen, gibt es nur eine extrem kleine Schnittmenge. Schwammige Worte und Absichtserklärungen ersetzen konkrete Entscheidungen. Weil die USA, Saudi-Arabien und Kuwait dieses Mal tatsächlich fürchten mußten, daß 35 kleine Inselstaaten mit ihrem Protokollvorschlag für eine 20prozentige Kohlendioxidminderung in den Industrieländern eine Zweidrittelmehrheit finden könnten, setzten sie auf Vollbremsung. Damit riskierten sie zwar internationale Mißbilligung. Aber ihre Rechnung ging auf: Die EU-Vertreter protestierten kaum, und die Chefin der Konferenz, Angela Merkel, schob das Problem zur Seite.
Nur wenn internationale Vereinbarungen wie die Rio-Konvention von Anfang an mit Zweidrittelmehrheiten oder zumindestens Dreiviertelmehrheiten konzipiert würden, ist ein konkreter Fortschritt zu erwarten.
Wer dann nicht mitmachen will, bleibt von Anfang an draußen – er würde ansonsten später den Prozeß nur lähmen. Und es ist weitaus besser, daß eine kleinere Gruppe außensteht, als daß alle gemeinsam stehenbleiben. Annette Jensen
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