: Für immer Neunzehn
■ Mirko, Tine, Sandra und die Anderen beklatschten artig ihre Lieblingspopstars: Die „Ärzte“, fast inkognito im Schlachthof
Sobald zwei von einem Geheimnis wissen, ist es keines mehr. Trotz fehlender Plakate und Presseankündigungen: Die Ärzte am Freitag im Schlachthof mußten natürlich nicht vor leeren Rängen spielen. Nur handgemalte Schilder in den Vorverkaufsstellen hatten zu „Punk-Rock aus Berlin mit der besten Band der Welt“ geladen. Klartext für den Fan, hatten sich doch die Berliner selbst seit jeher zur besten Band der Welt erklärt. Sandra (25) wußte es von Tine, die hatte im Ticketcenter gejobbt und gleich noch drei Freunde mitgeschleppt. Die hatten nicht dichtgehalten, und so waren auch die Studis Stefan und Atta mit von der Partie. Mirko hatte den nicht allzu versteckten Hinweis in der taz dechiffriert und noch am Donnerstag „die halbe Klasse alarmiert“. Dank des Schneeball-Prinzips wurde es im Schlachthof voll, aber nicht proppenvoll.
So tummelten sich die Abenteuerlustigen vor der Bühne, als diese zur teeniefreundlichen Uhrzeit von 21.20 Uhr von den Altpopstarts betreten wurde. Da das Publikum entsprechend erwartungsfroh und munter eingestimmt war, mußten die Ärzte an diesem Abend eigentlich nicht viel leisten. Vom ersten Ton an tobte die Kesselhalle, obwohl die Berliner mit unzugänglichen, harten Songs wie „Käfer“ und viel neuem Material begannen. Die getreuen Fans forderten zwar rituell die alten Ärztehits; aber die streute das Trio nur mal häppchenweise ein. Wozu auch? Allein die schiere Anwesenheit der Kultfiguren brachte einige so in Verzückung, daß mancher Roadie sich ins Gewühl werfen mußte, um die erregten Teens vor dem Tod durch Zerquetschtwerden zu retten.
„Punkrock“ war auf den Plakaten angekündigt; das weckte natürlich die Hoffnung, es gehe den Ärzten um mehr Basisnähe. Tatsächlich nahm sich die Atmosphäre in der kleinen Halle angenehmer aus als bei den Massenveranstaltungen im vergangenen Jahr. Aber Punk? Die Ärzte agierten mit Berechnung; der Auftritt in pseudo-inkognito vor „nur“ tausend Zuschauern war ein clever isnzenierter Test. Wie reagiert der findige und somit urteilsfähige Fan auf das neue Material? Für die große Tour im Herbst muß schließlich ein neuer Tonträger erstellt werden.
Selbstredend waren die Ärzte dennoch ein Genuß. Das Runterspielen ordentlich gemachter, nicht ganz dummer, aber im Grunde biederer Teenie-Hymnen mit Gitarre, Baß, Schlagzeug und mehrstimmigem Gesang gelingt den erfahrenen, ewig 19jährigen Altstars inzwischen perfekt. Im Grunde sind die Ärzte als Instrumentalisten sogar unterfordert. Das eigentliche Werk, die netten Mitsingsongs des Trios, läßt sich ja quasi nebenher vortragen. Da bleiben Freiräume, die die unbekümmerten Berliner trefflich nutzen: Wahlweise werden Kiss- oder Sex Pistols-Hits angespielt. Doch was als „God save the Queen“ begann, endete immer zielsicher als juvenile Hymne aus der Hitschmiede Urlaub/Felsenheimer.
Ja: Die Ärzte wissen schon, daß sie sich so ziemlich alles erlauben können. Und so überschreiten sie geschmackssicher die Grenze zur Böldheit. Als Singer/Songwriter Farin Urlaub auf die kommende Schnulze „Tu was du willst“ einzustimmen versucht und aus Jokus den Scorpions-Schmachtfetzen „Wind of Change“ anspielt, singt das Publikum zu seinem Entsetzen mit – da ist eine Ermahung fällig: „Also, das ist doch nun wirklich Scheiße.“ Den versprochenen, originalgetreuen Punkrock gab's dann auch noch. „1-2-3-4 Bullenstaat“ heißt die neue Single, eine Huldigung an alte Helden. Man nahm sich die Freiheit, Grindcore-Legenden wie die obskuren Leipziger Brutal Glöckel Terror zu covern, sang Wires „12 XU“ auf russisch und beendete das Set mit dem „Schrei nach Liebe“, einer Abrechnung mit rechten Plattenbau-Entschuldigungen. So blieb am Ende, trotz aller Berechnung: ein klasse Konzert Lars Reppesgaard
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