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Verteidigung: Brandstiftung, kein Mord

■ Im Prozeß um den Anschlag auf die Lübecker Synagoge sieht die Verteidigung den Mordvorwurf nicht als erwiesen an und plädiert auf geringe Freiheitsstrafen

Schleswig (taz) Strafen von maximal drei Jahren forderten im Lübecker „Synagogenprozeß“ die Verteidiger für ihre Mandanten. Der von der Bundesanwaltschaft erhobene Vorwurf des fünffachen Mordversuches gegen die drei Angeklagten sei während der Beweisaufnahme nicht erhärtet worden. Die Anwälte von Nico T. (20), Boris H.-M. (20) und Stephan W. (25) räumten am Montag vor dem Oberlandesgericht in Schleswig in ihren Plädoyers jedoch ein, daß die drei sich der Brandstiftung schuldig gemacht hatten und forderten geringe Strafen. Nico T. soll für 3 Jahre in den Jugendknast, der Verteidiger von Dirk B. plädierte auf Freispruch, Stephan W. soll, so sein Anwalt, „in der Mitte zwischen drei Monaten und siebeneinhalb Jahren erhalten“.

In den Wohnungen über dem jüdischen Gotteshaus hatten sich in der Brandnacht am 25. März 1994 fünf Menschen aufgehalten, die sich unverletzt retten konnten. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer Ende März für die vier Männer aus Lübeck Freiheitsstrafen zwischen sechs und viereinhalb Jahren gefordert. Die Bundesanwälte hatten drei der Angeklagten des fünffachen versuchten Mordes in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung für schuldig befunden, den vierten Angeklagten Dirk B. der Beihilfe zu schwerer Brandstiftung. Motiv sei ihre rechtsradikale, fremdenfeindliche und antisemitische Grundhaltung gewesen. Begründet hatte die oberste Anklagebehörde den Vorwurf des Mordversuches damit, daß es aus Sicht der anderen drei Angeklagten möglich war, daß das Gebäude bewohnt war. Auf diese Argumentation der Bundesanwaltschaft läßt sich nach Ansicht der Verteidiger nicht mit der erforderlichen Sicherheit eine Verurteilung auf versuchten Mord stützen. Die drei Hauptbeschuldigen hätten mehrmals erklärt, daß sie das Gebäude für unbewohnt hielten. Der Begriff „normales Haus“, von dem die Bundesanwaltschaft darauf schließt, damit sei ein bewohntes Haus gemeint, sei lediglich von dem 20jährigen Boris H.-M. in einem Nebensatz gebraucht worden. Aufgrund seiner „erheblichen intellektuellen und verbalen Unterbegabung“ könne nicht darauf geschlossen werden, daß mit „normalem Haus“ auch wirklich ein bewohntes Haus gemeint gewesen sei. Die Verteidigerin von Dirk B. erklärte, ihr Mandant hätte sich nicht strafrechtlich relevant schuldig gemacht. Bewiesen sei nur, daß er in der Tatnacht vor der Synagoge gestanden habe. Dies hatte der 22jährige kurz vor der Beweisaufnahme eingeräumt, eine direkte Tatbeteiligung aber bestritten. Das Urteil wird am kommenden Donnerstag verkündet. Kersten Kampe

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