: Ein unschuldiges Terrain
■ Ornamental, sentimental - Art Spiegelman illustriert Joseph M. Marchs Jazz-Poem "The Wild Party" aus dem Jahr 1928
taz: Die Art, wie „The Wild Party“ in den zwanziger Jahren gelesen wurde – als skandalös, geschmacklos, verrrbotten einerseits, andererseits jazzig, avanciert, „High“ und „Low“ intelligent mischend – hat mich an die Rezeption von „Maus“ erinnert. Haben Sie ein Pendant illustriert?
Art Spiegelman Ich wollte eigentlich einen Urlaub von „Maus“, habe mich damit aber ein bißchen selbst reingelegt. Wir nennen das „Busman's Holiday“, ein Busfahrer, der Urlaub zu machen versucht, indem er mit dem Bus durch die Gegend fährt. Die Arbeit an der Illustration hat mich völlig erschöpft, aber das Material war etwas ganz anderes: Es kommen keine Juden und absolut keine Nazis darin vor, kein Genozid, es funktioniert nach dem Lustprinzip, liefert keine erbaulichen sozialen Werte. Es hat etwas Verbotenes.
Es erschien damals zur selben Zeit wie „Lady Chatterly's Lover“, wurde zum Beispiel in Boston sofort verboten und anderenorts mit diesem Warnsignal „Vorsicht Sex!“ versehen. So was wird dann schnell zum Kult-Klassiker. Es schmeckt nach politischer Inkorrektheit. Das gab mir Raum, mich zu bewegen und von der Frage zu befreien: Also wann kommt denn jetzt „Maus III“?
Waren eigentlich die Reaktionen auf „Maus“ in Deutschland anders als in Amerika?
Auf jeden Fall. In Amerika hat es die Leute mehr verblüfft als befremdet, warum ein Comic über Auschwitz? In Deutschland auf der Buchmesse sind Leute auf mich zugerannt: „Finden Sie es nicht geschmacklos, einen Comic über Auschwitz zu machen?“ Da habe ich natürlich gesagt: Wissen Sie, ich finde, Auschwitz war geschmacklos. Das war so eine Art Über-Ich-Verteidigungsstrategie, die ich da spürte, ein Versuch, das Ganze auf Distanz zu halten. Es ging den Leuten eigentlich nicht um die Form. Die Gemeinsamkeiten zwischen „Maus“ und „Das wilde Fest“ beschränken sich eigentlich darauf, daß ich einen Text illustriere. Es liegt eine Art philosophisches Problem darin, ein Illustrator zu sein ...
Dem Text einen Spielraum zu nehmen?
Es hängt mit der parasitären Natur dieser Beziehung zusammen, die Bilder hocken sich auf den Text drauf, sie stehlen ihm was. Der Schriftsteller hat ja selbst ein Bild entworfen, das der Leser in seinem Kopf neu zusammensetzt. Der Illustrator verhält sich als parasitärer Mittler, er saugt den visuellen Kontext auf, stiehlt dem Autor die besten Zeilen und präsentiert sie möglicherweise auf eine Art, die durch ihre größere Unmittelbarkeit dem Text ein Stück von seinem Schneid abkauft. Andererseits ist es einfach schön, ein Buch durchzublättern, in dem es Bilder gibt. Es gibt dem Buch eine Melodie, einen Rhythmus. Es geht also darum, herauszufinden, wie man das anstellt, ohne Mißbrauch zu betreiben. Man muß Überillustration vermeiden, also verhindern, daß die Bilder sich gegenseitig auslöschen.
Die traditionellste Art von Illustration für „Das wilde Fest“ wäre genau das gewesen, wofür ich ursprünglich engagiert worden war: Ich sollte zehn Zeichnungen machen, Punkt. Aber das wäre genau dieses parasitäre Verhältnis gewesen. Indem ich so viele Bilder gemacht habe, gerade an Stellen, wo sie eindeutig nicht notwendig sind, entsteht eine neue Beziehung. Da ist zum Beispiel ein kleines Bild, wo Burrs zu Queenie kommt und nach ihr greift. Da heißt es im Text: „He seized her wrist/ gave it a twist“. Da braucht man eigentlich keine Zeichnung, aber es gibt eine.
Ihre kleine Zeichnung zu dieser Stelle ist wie eine Gebrauchsanweisung: So macht man das mit den Handgelenken ...
Genau. Es verweist also auf die Absurdität des Bildermachens überhaupt. In seiner Abstraktheit tut dieses Bild nichts weiter, als die Seite lebendig zu machen und zu rhythmisieren. Auf diese Weise nimmt es auch dem Text nichts weg, sondern verhält sich wie eine Jazz-Improvisation in einem Jazz- Text. Oder am Anfang, wo es um Queenies 16 Liebhaber geht. Man sieht da diese 16 Felder mit Porträts drin, zwischen denen es Korrespondenzen gibt, wie zwischen den verschiedenen Stufen von Polizei-Phantombildern: mal ist nur der Mund ähnlich, mal der Hut, der Schnäuzer et cetera. Komischerweise finde ich, daß man, indem man so 1:1 arbeitet, so buchstabengetreu, eben das Aussaugen des Textes vermeidet.
Sehen Sie die Zeichnungen auch schon mal schlicht als Ornament?
(Singt) „Ornamental, sentimental/ they owe two months/ on the rental“ („Ornamental, sentimental/ sie haben zwei Monate keine Miete gezahlt“). Auf jeden Fall. Aber dieses Ornament steht in spezieller Beziehung zum Text: Das Gedicht ist sprachlich sehr von der Boulevardpresse beeinflußt: Slang, Sensationalismus, Sprunghaftigkeit, Dichte, Aktualität. Was die Narration angeht, ist es sehr am Stummfilm orientiert, an der assoziativen Montage verschiedener Szenen und vielen Close-ups. March wurde übrigens später selbst Drehbuchautor. Gleichzeitig war er eben auch ein ausgebildeter Dichter, Protegé von Robert Frost in Amherst. Dann wieder kannte er sich im Vaudeville und in den „Speak Easies“ aus. Diese Gleichzeitigkeit von „High“ und „Low“ gefällt mir eben. Die Zeichnungen orientieren sich an dem synkopierten Rhythmus des Gedichts, der alles andere ist als ein Jambus.
So eine Art Big-Band-Sound entsteht daraus ...
Nein, mehr der Sound einer kleinen Combo. Die Zeichnungen verhalten sich wie eine Klarinette. Worüber ich mich am meisten freue, ist, daß das Buch sich irgendwie gut durchblättert. Wenn man von einer Seite zur nächsten springt, erwartet einen etwas Überraschendes, mal ist da nur ein Bild, mal eine Serie, mal etwas Gerahmtes, dann wieder ein kleiner Grundriß von einer Wohnung.
Wenn Sie mal so Ihren stilistischen Werdegang von „Raw“ [Westküsten-Undergroundmagazin] über „Maus“ bis zu „Das wilde Fest“ Revue passieren lassen, was hat sich da getan?
„Maus“ bedeutete einen Ausbruch aus dem Kontext von „Raw“, eine größere Bescheidenheit, eine kleinere Form, eine gewisse Kargheit. Der ganze Witz an „Raw“ war das genaue Gegenteil, opulent zu sein, strahlend, reich, grafisch aufdringlich, die Lust am Bild betonend. Oft kam es vor, daß die Bilder bestimmten, wo der Text langging. Zum Beispiel gab es jemand, der von Prinzessin Gracia Patricia besessen war. Er machte zwölf Zeichnungen, und Grail Marcus hat sie betextet. „Das wilde Fest“ kommt „Raw“ schon wieder ziemlich nah.
Wie würden Sie den Kontext beschreiben, in dem Sie arbeiten, wer gehört in Ihr Koordinatensystem?
Also ich komme ja aus einem Underground-Comic-Milieu in San Francisco, ich fühle mich immer noch mit den Künstlern dieser Generation verbunden, also mit Robert Crumb, Bill Griffith, Justin Green. Aber im Gegensatz zu den siebziger Jahren ist dieser Zusammenhang nicht mehr so eng. Heute stehe ich so ein bißchen zwischen den Gruppen: Schriftsteller halten mich für verrückt, welche Themen ich bebildern will, und Maler verstehen nicht, warum ich seriell arbeiten will. Ich bin mit dem Filmemacher Ken Jacobs befreundet, aber der arbeitet hauptsächlich in 3-D, und das kann ich nicht sehen, weil ich nur ein Auge habe. Es gibt kein Café, in das ich gehen kann, um auf meine Leute zu treffen.
Sie haben sich auch technisch an der Grafik der Zwanziger Jahre orientiert ...
Die Zeichnungen entstehen auf einer Art Tonplatte, auf der man, sehr viel feiner als bei einem Holzschnitt, schwarze Kerben hineinschneidet und weiße Striche mit der Rasierklinge oder einem anderen Feininstrument zieht. Es ist eine sehr langsame Art zu zeichnen, man muß für jede Linie die weiße und die schwarze Seite schneiden. Andererseits geht es viel leichter als der Holzschnitt, man braucht sehr viel weniger Druck. In den Buchillustrationen der Zwanziger Jahre war diese Art von Grafik eben gang und gäbe.
Der Expressionismus scheint ja auch eine Rolle zu spielen.
Ein großer Spaß an dem ganzen Projekt war für mich, daß ich auf die Art ein bißchen in den Zwanzigern leben konnte. Um von „Maus“ wegzukommen, habe ich versucht, ein „unschuldiges Terrain“ zu finden, eine Welt vor dem Genozid. Ich hörte den Jazz der Zeit, las die Illustrierten, las Versandkataloge, sah Stummfilme.
Was mich ein bißchen schockiert hat, war: Ich entdeckte plötzlich, daß ich mitten in Weimar steckte, statt in den amerikanischen „Twenties“. Die „Twenties“, das war dekorativ, ohne Schatten, entdeckte Sex als Thema. „Weimar“ war da bekanntermaßen anders.
Ich bin überhaupt dadurch zur Malerei gekommen, daß ich mir Bilder von Expressionisten angekuckt habe. Das hatte schon immer viel mit Comic-Zeichnen gemein, vor allem, was die Kunstgrafik anging. Was „Das wilde Fest“ angeht, war es ein bestimmter Teil des Expressionismus, der mich interessierte. Eine Ästhetik wie die von Nolde, der ohne weiteres ein Nazi hätte werden können, wenn man ihn nur gelassen hätte, gehörte nicht dazu. Was mich interessierte, hatte allgemein mit der Vitalität von Zeichen und Strichen zu tun, mit Urbanität, mit Beckmann, Dix, Grosz und den Künstlern der Neuen Sachlichkeit, die sich in Richtung Karikatur bewegten. Es hat nichts mit dem Expressionismus eines Gewitters zu tun.
Das Gespräch führte Mariam Niroumand
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