■ Zum Umgang mit „unseren ausländischen Mitbürgern“: „Sie kommen nur, wenn's brennt!“
Das Kulturzentrum der anatolischen Alewiten im Berliner Wedding ist ein Treffpunkt junger und alter, weiblicher und männlicher Bürger türkischer oder deutscher Staatsangehörigkeit. Die Zugehörigkeit zur alewitischen Glaubensrichtung und Kultur führt sie hier zusammen. Spätestens seit dem Tod von 37 Intellektuellen und Künstlern, verbrannt am 2. Juli 1993 im Hotel Madimak im anatolischen Sivas, Tat einer von radikalen religiösen Fundamentalisten aufgehetzten Menschenmenge, steigt die Zahl derer, die in diesem Kulturzentrum eine Adresse sehen, sich offen zur eigenen Herkunft zu bekennen.
Der Prozeß dieser Selbstfindung der Berliner Alewiten verläuft seit nun fast zwei Jahren jedoch fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit. Kaum ein Journalist hat sich bisher in das Kulturzentrum verirrt. Ganz anders seit dem 12. März 1995. Wieder sind zahlreiche Menschen gestorben, doch diesmal vor Europas Haustür, in Istanbul. Aus ganz Deutschland reisen die Fernsehteams und Journalisten an, geben sich die Klinke gerade dieses Kulturzentrums in die Hand. Doch kaum eine der 45 Redaktionen schickt ihr Team ein zweites Mal vorbei. „Sie werden wiederkommen“, meint Hidir Ali Bingöl, „denn es wird wieder brennen. Dann sind sie alle wieder da!“
Konflikte erleben die „Deutschländer“ (Almancilar) aus der Türkei zur Zeit in vielfacher Hinsicht. Ihre Geschäfte brennen, in den Medien steht ihr Ursprungsland auf Grund der Menschenrechtsverletzungen permanent am Pranger. Sie werden nicht mehr gefragt, aus welchem Land sie stammen, viel wichtiger scheint zu sein, wie viele von ihnen Sunniten oder Alewiten, wie viele Türken oder Kurden sind. Und zu welcher Gruppe zählt man die kurdischen Alewiten? Nach 30 Jahren Immigration entdeckt die deutsche Öffentlichkeit, daß die türkische Gesellschaft aus zahlreichen Ethnien und Konfessionen besteht. Den Menschen, die betroffen sind, war das in ihrem täglichen Kampf um Integration bisher zweitrangig.
Haben sie die Konflikte ihrer Heimat wirklich mit hierhergebracht, oder ist die Rückbesinnung auf die ethnischen und religiösen Wurzeln eine Flucht vor Ausgrenzung und fehlender Gleichberechtigung? Wer zieht den Nutzen aus dieser Entwicklung, und welche Rolle spielen deutsche und türkische Medien bei der Zuspitzung dieses Prozesses? Fragen, deren Beantwortung einer vielschichtigen Analyse bedarf, ohne die jedoch der Prozeß der voranschreitenden Abkapselung breiter Schichten der türkischen von der deutschen Bevölkerung und der Ghettoisierung innerhalb der türkischen Gesellschaft kaum gestoppt werden kann.
Warum aber flüchten Berliner Türken immer mehr vor dem grauen Alltag und finden in der Religion Geborgenheit? Seit Öffnung der Berliner Mauer hat Deutschland seine eigenen Probleme. Die deutsch-deutsche Vereinigung gestaltet sich noch immer monokulturell. Arbeitslosenquoten, monatlich bekanntgegeben, werden in alte und neue Bundesländer getrennt. Nur wenige Journalisten interessieren sich dafür, daß vor allem die Arbeitslosigkeit unter der nichtdeutschen Bevölkerung überproportional angestiegen ist. Die Ausländer als Verlierer der Einheit? Nicht wenige von ihnen, vor allem der ersten Generation, begreifen ihre Situation so: Ausländerfeindlichkeit, Mölln und Solingen, und doch keine politische Gleichberechtigung — nicht einmal auf kommunaler Ebene. Selbst die versprochene doppelte Staatsbürgerschaft ist dem Erhalt der Regierungskoalition zum Opfer gefallen. Die Debatten der politischen Parteien reduzieren sich auf die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei am Beispiel der Kurden, die deutsche Außenpolitik kommt ihnen scheinheilig vor, nicht nur wenn es um das Verhältnis zur Türkei geht. Nicht das Töten interessiert, sondern, ob mit deutschen Waffen getötet wird.
Die Resonanz in den Massenmedien gestaltet sich analog, oft arrogant, oberflächlich, einseitig und teilweise sträflich fehlerhaft. So druckte die Zeitung Welt am Sonntag ein Foto mit dem Bildnis des PKK-Führers Abdullah Öcalan ab und unterschrieb es mit dem Namen des Gründers der modernen Türkei, Mustafa Kemal Atatürk. Die Sender n-tv und euronews berichten von einem Mord an drei Kindern. Das türkische Militär sei es gewesen, so beide Sender. Doch in diesem Fall war die PKK der Täter. Nur zwei Beispiele aus der jüngsten Zeit, zwei Beispiele jedoch, die die Vorurteile türkischer Bürger über die Voreingenommenheit deutscher Medien nicht gerade abbauen. Deutsch-türkischer Alltag, fremdländische Lebensweise und Kultur fristen im deutschen Fernsehen ein Schattendasein.
Die Menschen, die nur als Randthema behandelt werden, wenden sich den Medien zu, die scheinbar ihre Interessen und Probleme reflektieren. Die Satelliten und Europaausgaben der großen türkischen Tageszeitungen machen es möglich. Keine systematische Untersuchung erkundet die Auswirkung dieser getrennten Mediennutzung von deutschen und nichtdeutschen Bürgern dieses Landes auf ihr Verständnis füreinander: jeder in seinem Ghetto und Propaganda gegen den anderen auf allen Seiten. Eine ideale Basis für extremistische und gewalttätige Gruppen. Bestehende Konflikte werden geschürt, das Terrain der Auseinandersetzungen wird immer unübersichtlicher. So scheint es. Angst vor Gewalt, Angst vor Anschlägen und der Ruf nach Polizei und dem Boykott deutscher Waren beherrscht die Medien.
Die Angst ist da, doch nicht so sehr vor der Gewalt, denn diese Gewalt wird nur von sehr kleinen Minderheiten propagiert. Viel eher zu befürchten ist das Ende der Kommunikation zwischen den Menschen unterschiedlicher Herkunft, die Zunahme der Ablehnung ausländischer Bürger durch die Einheimischen und die zunehmende Ghettoisierung vor allem innerhalb der türkischen Bevölkerung nach religiösen, ethnischen und politischen Kriterien. Ist das gewollt?
„Teile und herrsche“, so der Kommentar eines Berliner Sozialdemokraten türkischer Herkunft zur aktuellen Innen- und Außenpolitik Deutschlands. Aber ist nur die deutsche Seite schuld an dieser Entwicklung? Wo sind die türkischen Vereine und Dachorganisationen, die Intellektuellen und Künstler? Was unternehmen sie, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten? Ein Cem Özdemir allein reicht nicht aus, um in diesem Land dem Einfluß der deutschen Rechtsextremen und der gewalttätigen Gruppen der türkischen und kurdischen Nationalisten sowie der religiösen Fundamentalisten den Boden zu entziehen. Feingefühl im Umgang mit dem „Fremden“, Verständnis und auch Interesse über die Konflikte hinaus – an Beispielen dafür mangelt es nicht. Aber Schlagzeilen verkaufen sich besser, auch wenn der Alltag interessant ist. Kommt nicht erst wieder, wenn es brennt. Denn dann kann es vielleicht zu spät sein! Claudia Dantschke, Ali Yildirim
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