piwik no script img

Der „Anti-Schein“ für überfüllte Seminare

■ Mit einem „Anti-Schein“ wollen Münchner StudentInnen beweisen, daß nicht sie an den langen Studienzeiten schuld sind, sondern die miserablen Studienbedingungen

München (taz) – Das Sommersemester beginnt, und schon geht sie wieder los, die Jagd auf den Schein. Vor allem die raren und obligatorischen Hauptseminare und praktischen Übungen werden auch in diesem Jahr wieder einen Ansturm williger Studentinnen und Studenten erleben. Doch wo DozentInnen fehlen, sind auch Seminare nicht üppig gesät. So ist bei den Münchner Sonderpädagogen an der Ludwig-Maximilian-Universität beispielsweise der Fachbereich „Didaktik der Kunst und Musik“ völlig überlaufen. Pro Semester finden nur 30 Studierende im einzigen Hauptseminar einen Platz, obwohl sich über hundert bewerben. Kein Wunder, daß sich das Studium unbeabsichtigt verlängert. Immerhin ist der Schein, der die erfolgreiche Teilnahme am Pflichtfach bestätigt, eine Voraussetzung für das Staatsexamen.

Den Pädagogikstudenten Georg Thum fuchst das schon lange. Wenn im Mai in München das Semester beginnt, will er in Zusammenarbeit mit der Fachschaft Sonderpädagogik eine neue Schein- Variante einführen: den „Anti- Schein“. „Natürlich ist das ein inoffizielles Formular, aber wenn ein Student künftig keinen Platz in einem Pro- oder Hauptseminar bekommt, soll der Dozent dies auch schriftlich bestätigen“, fordert Thum. Mit dem Anti-Schein sollen StudentInnen endlich den schriftlichen Beweis erbringen können, daß nicht sie, sondern die miserable Studiensituation schuld an der hohen Semesterzahl ist.

Die rechtsgültige Unterschrift eines Dozenten auf dem neuen Schein soll dann belegen, daß sich das jeweilige Institut in diesem Semester nicht in der Lage sieht, den betreffenden Kurs für alle Nachfragenden zu gewährleisten. Möglicherweise, so sinniert Thum, könnte der Anti-Schein sogar Auswirkungen auf die Dauer der Bafög-Zahlungen haben. Denn wer könne noch vom Überschreiten der Regelstudienzeit sprechen, wenn das Angebot definitiv fehle. Daß der Anti-Schein tatsächlich die Förderdauer des Bafögs beeinflussen könnte, bestreiten die Juristen der Universität jedoch. „Eine einfache Bestätigung wie dieser Schein reicht da kaum aus“, meint Peter Lerche vom Institut für Politik und öffentliches Recht.

Bei zahlreichen Professoren kommt der Münchner Anti-Schein zumindest gut an. Viele wollen mit ihrer Unterschrift belegen, daß die Studiensituation an der Uni einfach verheerend ist. „Wenn es gelingt, mit so einem Schein auf deutliche Mißstände in der Lehre aufmerksam zu machen“, meint etwa der Prorektor der Universität, Lutz von Rosenstiel, „dann ist das allemal hilfreich.“ Frank Horlbeck

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen