: Vom Push zum Pull
■ Die Werbebranche überlegt, wie sie ihre Plakatwände auf dem Multimedia-Highway am wirkungsvollsten aufstellen kann
Auf dem Informations-Highway soll die Hölle los sein. Das hat sich auch in der Werbebranche herumgesprochen. Zwar ist den meisten noch gar nicht so recht klar, was hinter den großen Worten „Multimedia“ und „interaktiv“ steckt. Dennoch macht sich bei den deutschen Werbern schon heute ein ungutes Gefühl breit: Mit der „klassischen“ Werbung in den Printmedien, dem Hörfunk und im Fernsehen wird es bald nicht mehr getan sein, wenn man die deutsche Bevölkerung flächendeckend mit „Werbebotschaften“ bestreichen möchte.
Doch wie wirbt man für Konsumenten in einer sich aufsplitternden Medienlandschaft? Wie macht man „Werbedruck“ auf die User von Computernetzwerken? Wie werden die Werbeplakate aussehen, die entlang des Info-Superhighways stehen sollen? Mit solchen banalen Fragen waren letzte Woche über 1.000 Werber nach Düsseldorf zu der Kongreßmesse „kom:m '95“ gekommen.
Ein Mausklick, und weg ist die Werbung
Denn eine für die werbetreibende Industrie unangenehme Eigenschaft haben alle neuen digitalen Medien gemeinsam: Ihre Nutzer interagieren mit den neuen Kommunikationsmitteln. Anders als die Couchpotatos vor der Glotze, die aus Trägheit auch die Werbeblöcke über sich ergehen lassen, können Computer-User mit wenigen Mausklicks jede unerwünschte Botschaft umgehen. Wer sich trotzdem werblich aufdrängt, dem kann es so ergehen wie dem amerikanischen Anwalt, der unaufgefordert Werbung für seine Kanzlei über das Internet verschickte. Wütende Netzteilnehmer blockierten daraufhin für mehrere Tage seinen Telefonanschluß mit einem Bombardement von e-mail.
Wer seine digitale Zielgruppe nicht so verärgern will, muß zu vollkommen neuen Mitteln greifen, wie der Hamburger Medienberater Peter Kabel darlegte: Die werbetreibende Industrie müsse vom Push- zum Pull-Marketing übergehen. Auf deutsch heißt das: Statt sich mit ihrer Reklame aufzudrängen, müssen die Werber im Internet oder anderen Computer- Netzwerken Angebote machen, auf die gern zurückgegriffen wird. Für ein neues Album der Gruppe Yello designte Kabels Agentur New Media zum Beispiel eine Seite auf dem Netzwerk World Wide Web, auf der man nicht nur Videoschnipsel und Sounds abrufen, sondern der Band auch Vorschläge machen konnte, die in deren nächstes Album einfließen sollen. Die Grenze zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung werde auf diese Weise fließend, wie Kabel gern zugab.
Durch solche Interaktion mit der werbetreibenden Industrie wird der Konsument zwar nicht zum Produzenten, wie es Brecht und Enzensberger in ihren Medientheorien gewünscht haben, aber immerhin zum „Prosumenten“, so nennt es Michael Konnitzer von der Hamburger Werbeagentur Scholz & Friends: zum Mitgestalter der Produkte, die er anschließend erwirbt.
Gerade das Internet funktioniere wie ein Nervensystem, erklärte Derrick de Kerckhoven, Direktor des McLuhan-Programms an der Universität von Toronto: „Hier kommt der Druck von unten, von den Usern.“ Wer an den Diskussionsforen und Bulletinboards des Internet teilnimmt, der verarbeitet Informationen nicht länger im Kopf, sondern auf dem Netz – für alle anderen Netzteilnehmer sichtbar. So findet ein ununterbrochender öffentlicher Diskurs statt.
Für Werber ist das eigentlich angenehm: Jetzt könnten sie direkt mit ihren Kunden kommunizieren. Doch als ein Referent fragte, wie viele seiner Zuhörer on line seien, erhoben sich nur wenige Hände. Und Bernd Michael von der Düsseldorfer Agentur Grey gab in seinem Vortrag freimütig zu: „Bisher kann ich nicht mal meinen Videorecorder programmieren.“
Das wäre freilich auch nicht genug. Um in der digitalen Welt von morgen als Werber geduldet zu werden, muß man erst mal verstanden haben, was Nicholas Negroponte, Boß des Bostoner MIT Media, schon seit Jahren predigt: Digitalisiert werden kann grundsätzlich jede Art von Information – nicht bloß Text, sondern auch Musik, Bilder, Video, die per Internet oder auf Diskette und CD-ROM vertrieben werden können. Werbung muß in Zukunft also nicht nur für einen Dialog bereit sein, sondern auch multimedial daherkommen.
Kids stehen auf Computerspiele
Auf diesen Wachstumsmarkt hat sich zum Beispiel Robert Köster mit seiner Düsseldorfer Agentur BBDO Telekom spezialisiert: Seit einigen Jahren produziert er im Auftrag von Unternehmen wie dem Sparkassenverband oder Volkswagen Computerspiele für Kids, die sich so freiwillig stundenlang mit Werbebotschaften beschäftigen. Auf einer CD-ROM für den neuen Polo waren außer einer Beschreibung des Autos und einem Händlerverzeichnis auch der „Polo-Song“, ein „Fahrspaß“- Simulator und ein Geschicklichkeitsspiel gespeichert.
Die „Werbe-Viren“ dagegen, von denen der amerikanische Journalist Michael Schrage phantasiert, sind wahrscheinlich keine gute Idee: Er stellt sich Computerviren vor, die ins Internet eingeschleust werden können und die statt Rechnerabstürzen lediglich Bandenwerbung auf dem PC produzieren: Auf den Monitoren von infizierten Systemen sollen dann Markennamen wie Coca-Cola oder Siemens erscheinen.
Von solchen Szenarien sind die deutschen Werber ohnehin noch weit entfernt. Nach einem Vortrag über das Internet fragte niemand nach Werbung. Der einzige Frager wollte nur wissen, wie man eigentlich e-mail verschickt; er wurde vom Vortragenden höflich informiert. Im Internet dagegen herrschen rauhere Sitten: Wer da dumme Fragen stellt, erhält als Antwort das Kürzel „RTFM“, kurz für „Read the fucking manual!“ Tilman Baumgärtel
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