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„Auf, auf ins Bio-Heu-Hotel“

Das Endlager wird versteigert, Marianne Fritzen ist immer dabei, und am Samstag geht's gegen den Castor  ■ Von Jürgen Voges

Wir treffen uns wie immer am Trafohäuschen“, hatte Marianne Fritzen, die altgediente Widerständlerin des Wendlands, gesagt. Das Backsteinhäuschen steht neben der Straße im Gorlebener Wald, jeweils gut hundert Meter vom Zwischenlager und von der Endlagerbaustelle entfernt. Unter den regennassen Kiefern hinter dem Häuschen liegen Bretterstapel und Strohhaufen – Überreste des Hüttendorfs Castornix vom letzten Sommer.

Die Reihe grüner Mannschaftswagen an der Bundesstraße zeugt davon, daß nun zum dritten Mal ein Transporttermin für den in Philippsburg parkenden Pannen-Castor angesetzt ist. Zuletzt griff die Polizei hier am Ostersonntag hart zu, selbst ein Zehnjähriger bekam Tritte ab. Alles wegen eines Osterfeuers – das allerdings mitten auf der Straße vor dem Zwischenlager brennen sollte. Heute jedoch ist Familientag, heute wird das Endlager versteigert.

Dreihundert sind gekommen. Neben dem Trafohäuschen verkaufen ältere Frauen Selbstgebackenes: Torten und vorzüglichen Käsekuchen mit Äpfeln. Daneben schenkt die Firma „Wolle und Wein“ Saft und Sekt aus. Versteigert wird amerikanisch, der Mindesteinsatz beträgt fünf Mark. Zu ergattern gibt es allerdings wenig: ein paar zum Nieselwetter passende blaue Regenschirme, selbstgebastelte Stoppt-Castor-Buttons und die beiden symbolischen „Fördertürme“, für die zwei Klumpen roten, echt Gorlebener Steinsalzes daliegen. Es gilt, die zweite Instanz in dem Schadensersatzprozeß zu finanzieren, den die Bundesrepublik Deutschland gegen vierzehn AtomkraftgegnerInnen angestrengt hat, die im Juni 1990 die Fördertürme des Endlagers besetzt hatten. Genau 126.901,10 Mark soll der 24stündige Stillstand auf der Endlagerbaustelle angeblich gekostet haben.

Von der Mal-Aktion bis zum Gleise-Zersägen

Der Versteigerer mit Ballonmütze in karierter Kniebundhose und ebenso gemusterter Jacke redet ohne Punkt und Komma und haut mit einem Gummihammer auf ein Atommüllfaß: „Zum ersten, zum zweiten... Da hinten sehe ich wieder fünf Mark, zum ersten, zum...“ Zwei von der BI stöckeln als seine Assistentinnen in goldenem Paillettenkleid respektive Hose durch die Reihen. Wer nicht fünf, sondern gleich fünfzig Mark in den Topf wirft, kriegt einen Assistentinnen-Kuß.

„Ich kann noch mitbieten“, sagt Marianne Fritzen lachend und holt unter ihrem Regenumhang eine Handvoll Fünfmarkstücke hervor. Bei tausendsiebenhundert Mark wechselt unter Jubel der erste Salzklumpen den Besitzer. Die Assistentinnen machen Pause. Der alte Herr Wollny, Ehemann der früheren Bundestagsabgeordneten Lilo Wollny, setzt einem Pressesprecher der Polizei gehörig zu wegen des brutalen Polizeieinsatzes am Ostersonntag.

An der Spitze der Demonstration zum Zwischenlager streut Pastor Meierhofer aus einem Sack auf einem Bollerwagen händeweise Backpulver aus und intoniert einen Spott-Choral auf Angela Merkel. Die Bundesumweltministerin hatte auf einer CDU- Veranstaltung in Lüchow das Beladen des Castors mit Kuchenbacken verglichen, bei dem ruhig mal etwas Backpulver daneben gehen könne. Die BI-Vorsitzende Susanne Kamien zählt indessen das Geld im Topf. Gut sechstausend Mark für die Prozeßkosten hat die Versteigerung der „Fördertürme“ gebracht, „die gar nicht fördern, sondern versenken sollen und somit wegmüssen“. „Niemand soll glauben, daß es bei Jux-Aktionen bleiben wird“, sagt sie. Der Widerstand im Wendland reichte schon immer von der Kinder-Mal-Aktion bis zum Anschlag. Wenn es illegal wird, ruft regelmäßig eine anonyme „Republik Freies Wendland“ auf, so auch zu jenen Anti- Castor-Blockaden, die am Samstag in Dannenberg im Anschluß an die BI-Kundgebung geplant sind. „Zentraler Anlaufpunkt für all jene, die sich zwar praktisch betätigen möchten, aber nicht in Kleingruppen eingebunden sind, ist das Gleisdreieck in Dannenberg“, heißt es in dem Aufruf unter dem Titel „Sie kommen nicht durch“. Am Gleisdreieck laufen die beiden Castor-Bahnstrecken aus Uelzen und Lüneburg zusammen.

Ein großes dunkelgrünes Wappen der „Republik freies Wendland“ hängt auch an der Tür des kleinen Hauses „Waldwinkel Nr.1“ auf dem Mühlenberg nahe Lüchow. Das Haus, in dem Marianne Fritzen fünf Kinder großgezogen hat, liegt tatsächlich in einem Eichenwald. Das Wappen hängt seit 1977 an der gelben Eingangstür, seit der Besetzung der Endlagerbohrstelle 1004, während der erstmals die freie wendländische Republik ausgerufen wurde. Noch heute genauso wie in den Jahren, als Marianne Vorsitzende war, hat die Bürgerinitiative rund 650 Mitglieder, die wiederum in Ortsgruppen und in Gruppen wie den Gorleben-Frauen oder der Bäuerlichen Notgemeinschaft organisiert sind. Marianne, als immer aktive Großmutter, mischt auch in der Seniorengruppe „Initiative 60“ mit. Natürlich ist ihre Außenstelle der freien Republik keineswegs für die jetzt verbreiteten Aktionsaufrufe verantwortlich. Aber als neulich nach den beiden Anschlägen auf die Castor-Bahnlinien eine Journalistin anrief, da lautete Mariannes Antwort: „Ich habe keine Lust, mich von allem und jedem zu distanzieren. Ich distanziere mich von Angela Merkel.“

Für sie gilt weiter der Grundsatz: „Wenn einer was tut, dann muß er es selbst vertreten.“ Das Durchschneiden eines Zaunes ist für sie keineswegs schon Gewalt. Natürlich gab es früher mit auswärtigen AKW-GegnerInnen Konflikte um Militanz und Steinewerfen. „Wir“, sagt Marianne, „hatten immer Rücksicht auf die Verhältnisse hier im Kreis zu nehmen.“ Gerade dadurch hat die BI die K- Gruppen der 70er Jahre genauso überlebt wie die Autonomen der 80er. „Heute hängt selbst bei unserem Herrenausstatter in Lüchow ein Stoppt-Castor-Plakat“, sagt Marianne stolz.

Kürzlich ist sie aus dem geschäftsführenden Vorstand ausgeschieden, sie sitzt jetzt als Beirätin im Vorstand. Dennoch hat sie weiterhin die Zeitungen durchzuarbeiten. Regale und Schränke in Arbeits- und Wohnzimmer reichen längst nicht mehr aus. Neben dem ovalen Tisch im Eßzimmer stehen vierzig Ordner. Beim Faxgerät hängen Telefonnummern auf grauer Pappe: von Zeitungen und Rundfunk, die der Staatskanzlei in Hannover und die des Bundeskanzleramtes.

Zum einundsiebzigsten Geburtstag haben Freunde aus der BI und Verwandte Marianne einen zweiwöchigen Urlaub in Wyk auf Föhr geschenkt und hatten für diese Zeit auch die Betreuung ihres blinden Ehemannes organisiert. Das Geschenk war mit einer Bedingung verbunden: „Kein Radio, kein Fernsehen, Anrufen im BI-Büro verboten.“ Eigentlich ist Marianne weit herumgekommen, in Saarbrücken geboren, in Frankreich aufgewachsen, bevor sie 1957 nach Lüchow zog, lebte sie in Berlin, und zwischendurch in den Sechzigern war die ganze Familie zweieinhalb Jahre in China. „Aber an einem Stück vierzehn Tage Urlaub hatte ich seit zwanzig Jahren nicht mehr.“ Doch Marianne bereut „nicht eine Stunde aus den ganzen Jahren, obwohl es sehr viel Arbeit war und viel Nerven gekostet hat“. Vor allem hat sie heute in der ganzen Bundesrepublik Freunde, in Whyl noch immer genauso wie in Wackersdorf.

„Die gemeinsame Arbeit hat uns zu einer großen Familie gemacht.“ Und ihre Heimat, der Landkreis Lüchow-Dannenberg, hat sich durch die Bürgerinitiative weit mehr verändert als etwa durch die Politik der CDU. Die vielen Biolandwirte hier, die Kunstszene – für Marianne geht auch das auf die BI-Arbeit zurück.

Der Widerstand hat den Landkreis verändert

„Vorsitzende der Bürgerinitiative war mit Ausnahme weniger Jahre immer eine Frau“, stellt Marianne fest. Momentan besetzen vier Frauen und zwei Männer die sechs Posten in Vorstand und Beirat. „Auch in die Parlamente haben wir zumeist Frauen geschickt“, erinnert sie sich an die grünen Landtags-, Bundestags- und Europaabgeordneten, die aus der BI kamen. Frauen haben den Widerstand im Wendland geprägt, meint Marianne Fritzen: „Die Frauen waren unabhängiger, die Männer hatten in der Regel berufliche Positionen, wo sie sich nicht so exponieren konnten.“ Dann kommt sie auf den Castor zu sprechen: „Dieser Behälter soll nur kommen, um uns in die Knie zu zwingen. Aber noch ist er nicht da. Wenn er kommt, stellen wir uns quer. Und sie sollen nicht glauben, wenn sie den einen durchbringen, dann ist der Weg für die anderen frei. Wir bleiben unberechenbar. Schließlich können sie nicht für jeden Transport fünftausend Polizisten schicken.“

Frauen an der Spitze der Bewegung? Das sehen die BI-Vorsitzende Susanne Kamien und die Ex-Vorsitzende und Landtagsabgeordnete Rebecca Harms etwas anders. „Als BI-Vorsitzende mußt du den ganzen Laden auch zusammenhalten. Das hat etwas von einer missionarischen Arbeit, braucht viel Geduld, die die Männer nicht haben“, sagt die 37jährige Susanne, als man nach der Versteigerung im Gorlebener Wald noch in den Trebeler Bauernstuben zusammensitzt. „Frauen sind eher bereit, über eine lange Zeit eine unbezahlte Arbeit zu machen“, fügt Rebecca, die 38jährige Grünen-Abgeordnete, hinzu, die ebenfalls auf zwanzig Jahre Widerstand im Wendland zurückblicken kann. Frauen würden ihren persönlichen Ehrgeiz eher um der Sache willen zurückstellen, konstatieren beide. Für die Demonstration am morgigen Samstag wünschen sich die beiden Frauen vor allem eines: die Sympathie, die man jetzt in allen Teilen der Bundesrepublik für die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg hegt, soll sich in ordentlichen Zahlen anreisender AKW-GegnerInnen und Freunde niederschlagen: „In Umfragen sind etwa 70 Prozent der Bundesbürger gegen den Castor-Transport nach Gorleben, und über 50 Prozent befürworten außerdem unsere Straßenaktionen“, sagt Rebecca. „Sie sollen einen Schlafsack mitbringen. Wir haben immer einen Platz im Bio-Heu-Hotel“, verspricht Susanne Kamien. Daß nur die unentwegten drei- oder viertausend aus dem Wendland am Samstag um 11 Uhr 55 zu der Kundgebung nach Dannenberg kommen: „Das reicht diesmal nicht.“

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