Frieden riecht nach Erdnußbutter

Auch Mitglieder der Akademie der Künste erinnerten sich an das Ende des Krieges. Es hörte zu:  ■ Detlef Kuhlbrodt

Deutschland befindet sich im Erinnerungsrausch. Allein im Mai erinnert man sich in Berlin mit über 100 Ausstellungen, Gesprächsrunden, Zeitzeugenberichten, Konzerten, Film- und Kabarettveranstaltungen an „50 Jahre Frieden in Deutschland“.

Anläßlich der Frühjahrsmitgliederversammlung der „Akademie der Künste“ berichteten am Donnerstag abend auch acht Akademiemitglieder davon, „wie der Krieg zu Ende ging“. Das Interesse war groß, der Saal überfüllt; auf dem Podium saßen Mitglieder aller Akademiesparten. Peter Härtling, Reinhard Baumgart, Dietrich Fischer-Dieskau, Gisela May, Walter Jens, Erwin Leiser und Stefan Heym. Der älteste unter ihnen, der 1904 geborene Julius Posener, konnte selbst nicht erscheinen und schickte einen Text.

Peter Härtling berichtete, wie er als elfjähriger Pimpf den letzten Kriegswinter erlebte hatte. Erschreckt habe er die Veränderungen registriert, die in der Erwachsenenwelt stattfanden. Während er noch an den Führer glaubte, begannen die Erwachsenen schon nach dem Motto „Genieß das Leben, der Frieden wird fürchterlich sein“ – defätistisch zu reden und zu feiern. „Ich hatte den Eindruck, als hätten die Erwachsenen sich gegen die Kinder verschworen“, sagte Härtling. Lebensprägend sollte ein Erlebnis kurz nach Kriegsende für ihn werden. Da packte ein gewendeter SS-Offizier den jungen Härtling an seiner notdürftig demokratisierten Pimpfuniform und schimpfte: „Dir werden wir auch noch beibringen, was Demokratie ist.“ – „Ich wurde ein radikaler Demokrat.“

Während Härtling den Eindruck vermittelte, er könne sich bruchlos erinnern, blieben Reinhard Baumgart, der mit seinen Eltern über die Tschechoslowakei gen Bayern geflohen war, nur „Fetzen“ aus dieser Zeit: die Rede zum letzten Hitler-Geburtstag, in der Goebbels in priesterlichem Singsang eine Art Hitlersche „Passionsgeschichte“ entworfen und vom Frieden gesprochen habe, in dem Hitler wieder der sein werde, der er früher schon war: „unser Hitler“. Außerdem Stationen einer Flucht, bei der die Arztfamilie immer Glück gehabt hatte. Als er sagte, daß Frieden nach Erdnußbutter rieche, fühlten sich viele im Saal glücklich in ihrer Erinnerung bestätigt.

Auch Dietrich Fischer-Dieskau erzählte eine Fluchtgeschichte. Sein Sprechgestus war der, mit dem man im Radio Tschechow-Erzählungen vorliest. Anheimelnd reihten sich Sätze wie „Dafür sprach ich dem Rotwein reichlich zu“ und Anekdoten aneinander. Ein Großvater plaudert aus seinem reichen Erfahrungsschatz.

Ähnlich angst- und gewaltfrei ging es bei der Schauspielerin Gisela May und bei Walter Jens zu. Gisela May erlebte das Kriegsende als junge Schauspielerin, die sich in einen tschechischen Kapellmeister verliebt hatte und ihrem Liebsten im März 1945 hinterherfuhr. Wie Schwejk hatte sie sich mit ihrem Jarin fünf Minuten nach dem Krieg verabredet. Das klappte nicht. Zwei Sätze lang, als sie vom Tod ihres Bruders sprach, zitterte ihre Stimme.

Walter Jens, der wegen Krankheit nicht kämpfen mußte und als promovierter Graecist in Hamburg war, sprach über die „internationale Solidarität der Altertumswissenschaftler“ und über seinen kauzig antifaschistischen Lehrer Bruno Snell.

Am beeindruckendsten waren die Erinnerungen von Erwin Leiser und Stefan Heym. Die „alte Eule“ hatte ihre Erinnerungen zwar auch literarisiert, doch im Gegensatz etwa zu dem gemütlichen Text von Fischer-Dieskau hatte man beim Alterspräsidenten den Eindruck, die literarische Form, die Fiktionalisierung der ersten Person (aus „Ich“ wird „er“, aus Stefan Heym der Sergeant S. H.) sei notwendig. Heym erzählte, zuweilen auch ironisch, wie er als amerikanischer Soldat seine Heimatstadt Chemnitz, die in der sowjetischen Besatzungszone lag, besuchte. Mit dem Besuch habe er die Traumata, die ihm in seiner Heimatstadt zugefügt worden waren, besiegt. Als er im Pissoir seiner alten Schule steht, steht keiner mehr neben ihm „und macht Witze über sein beschnittenes Glied“.

Erwin Leiser erzählte von seiner Emigrationszeit in Schweden: von dem Mißtrauen, das dem jüdischen Flüchtling zunächst auch in Schweden entgegenschlug; von den Frauen aus dem KZ Ravensbrück, die am 27. April 1945 nach Schweden ausreisen durften; von der Angst der geretteten Juden, als sie in Schweden aufgefordert worden waren, sich zum Duschen nackt auszuziehen; von polnischen KZ-Häftlingen, die sich in Schweden nicht zusammen mit Juden unterbringen lassen wollten; von dem Unglauben, der den ehemaligen KZ-Häftlingen entgegenschlug, wenn sie von den Lagern erzählten.