: Neues Flüchtlingsdrama in Südwest-Ruanda
■ Hilfswerke kritisieren Ruandas Regierung nach Auflösung von Lagern
Kigali/Berlin (taz/AFP/rtr) – Der Versuch der Regierung Ruandas, die verbliebenen Hutu-Flüchtlingslager in der ehemaligen französischen „Schutzzone“ im Südwesten des Landes aufzulösen, hat offenbar neues Elend herbeigeführt. Die 150.000 Bewohner des am Mittwoch von ruandischen Soldaten aufgelösten Lagers Kibeho sind nach Angaben von Hilfsorganisationen mittlerweile zur Stadt Gikongoro gezogen, wo sie auf engstem Raum nahezu ohne Versorgung kampieren. Ruandische Soldaten ließen nur Wassertransporte zu den Flüchtlingen durch.
Die Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ sagte, die Menschen hausten auf engstem Raum im Freien; immer wieder werde die Menge von Panik erfaßt. Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Caritas“ berichtete, auch einheimischen Ärzten werde der Zutritt zu den Menschen versagt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR forderte zusammen mit anderen UN-Organisationen gestern die ruandische Regierung auf, Zugang zu den Menschen zu gewähren, da Seuchengefahr bestehe.
Seit Tagen stehen sich im Südwesten Ruandas Flüchtlinge und Soldaten feindselig gegenüber. Die von der einstigen Guerillabewegung „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) dominierte Regierung Ruandas hatte zu Wochenbeginn die Auflösung der Flüchtlingslager mit insgesamt 250.000 bis 300.000 Bewohnern im Südwesten des Landes beschlossen. Sie vermutet, daß sich dort vor allem Verantwortliche für den Völkermord an über 500.000 Menschen vor einem Jahr versteckt haben, die die Lager zum Aufbau einer bewaffneten Opposition gegen die Regierung nutzten.
Mehrere Lager sind seit Dienstag von RPF-Soldaten besetzt worden; die meisten Insassen weigerten sich jedoch, auf Lastwagen in ihre Heimatdörfer zurückzufahren und flohen auf nahe Hügel. Die Armee läßt die Menschenmengen aber nicht aus den Augen, um die Bildung neuer Lager zu verhindern.
So kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Die UN-Mission in Ruanda berichtete gestern, am Donnerstag seien 13 Menschen getötet und 24 verletzt worden, als Soldaten auf eine Menschenmenge das Feuer eröffneten. Menschenrechtler in Ruanda warnen seit einiger Zeit vor zunehmender Indisziplin seitens einfacher Soldaten in der ruandischen Armee, die sich mit Gewalt an möglichen Tätern des Völkermordes von 1994 rächen wollten und zudem Angriffe von geflohenen Hutu-Milizionären aus den Nachbarländern befürchteten.
Die Armeeführung erklärte zu dem jüngsten Vorfall, die Soldaten hätten das Feuer eröffnet, als ein Flüchtling versucht habe, einem Soldaten die Waffe wegzunehmen, und sagte, das Militär suche in den Lagern nach „Kriminellen“. Die in der Region stationierten UNO- Blauhelmsoldaten haben offenbar wenig Möglichkeiten, eine weitere Eskalation zu verhindern.
Da es sich bei den Lagerinsassen um Binnenflüchtlinge handelt, haben sie keinen völkerrechtlichen Anspruch auf Schutz durch das UNHCR, das daher nur Appelle verbreiten kann. Gestern hieß es vom UNHCR in Genf, man befürchte eine „Zunahme des Elends“ und ein weiteres Anwachsen der Flüchtlingszahlen in der Region Zaire-Ruanda-Burundi. Seit Donnerstag haben die UN- Hilfswerke nach eigenen Angaben 6.000 Flüchtlinge aus den geräumten Lagern in ihre Heimatdörfer zurückgebracht. D.J.
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