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Die digitale Konkurrenz der Mediziner

Computergesteuerte Roboter sollen die Arbeit der Chirurgen perfektionieren  ■ Von Andreas Sentker

Das Geräusch ist unangenehm laut. Unbeeindruckt und millimetergenau frißt sich der Bohrkopf in einen menschlichen Oberschenkelknochen. Ein Computer übernimmt die Steuerung des chirurgischen Eingriffs. Der „Robodoc“ ist seinen Konkurrenten im grünen Kittel weit überlegen: Etwa 95 Prozent der später eingesetzten Hüftgelenkprothesen werden den Knochen berühren. Selbst erfahrene Chirurgen erreichten nur Werte um 20 Prozent. Die menschliche Ungenauigkeit hat Folgen: Viele Prothesen fangen nach einiger Zeit an zu wackeln.

Der zum Chirurgen umgebaute Industrieroboter wurde von der kalifornischen Firma Integrated Surgical Systems entwickelt und steht nun kurz vor seinem kommerziellen Einsatz. Eine Ausnahme, die meisten Systeme befinden sich gerade in einer ersten Erprobungsphase. Am Stuttgarter Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation setzt sich der Chirurg einen Datenhelm auf. Zwei kleine Bildschirme vor den Augen des Mediziners zeigen einen Patienten auf dem Operationstisch. Der Arzt setzt die Knochensäge an, einige vorsichtige Bewegungen und der Oberschenkel ist durchtrennt. Nun wird neu zusammengefügt. Doch der Schnittwinkel war falsch berechnet, mit seltsam verkrümmten Beinen verläßt der Patient den OP. Zum Glück existiert der ärztliche Kunstfehler nur im Computer, ein Knopfdruck und das Programm beginnt von vorn.

Im benachbarten Institut für Produktionstechnik und Automatisierung arbeiten die Ingenieure an der virtuellen Revolution der minimal invasiven Chirurgie. Bisher stehen die Chirurgen vor großen Problemen: Die langstieligen Instrumente lassen sich nur mit Mühe durch das Gewebe lenken. Die endoskopischen Kameras liefern unübersichtliche grobe Bilder, die dem Arzt oftmals eine Orientierung erschweren. Die virtuellen Welten aus dem Rechner sollen nun für Abhilfe sorgen. Der Chirurg führt sein Instrument nicht mehr direkt, sondern steuert mit einem kleinen Stift in der Hand einen Roboter durch die winzige Operationswunde zum Ziel. So werden Verletzungsrisiken und Fehlentscheidungen des Operateurs reduziert. Noch ist der Patient am Fraunhofer Institut nicht mehr als eine Ansammlung von Computerdaten. In einigen Jahren aber — so hoffen die Wissenschaftler — ist das System einsatzbereit.

Die Cybernauten im weißen Kittel erleben einen wahren Boom. International wird an der Perfektionierung der Technik gearbeitet. Operierende Roboter — berichten die Chirurgen, schwankend zwischen Neid und Begeisterung — machen keine Fehler. Noch aber bereiten vor allem die Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine Probleme. Die Datenhelme liefern zu ungenaue Bilder. Die Entwickler arbeiten an Systemen, die die künstlichen Bilderwelten direkt auf die Netzhaut projizieren. Das Ziel der Entwicklung haben die Forscher längst formuliert: Der Roboter soll die Aktionen des Chirurgen perfektionieren. Eine Bewegung von einigen Zentimetern läßt das Skalpell am Maschinenarm nur wenige Millimeter vorrücken. Das Zittern des Chirurgen wird einfach ignoriert. Die Maschinen aber haben vor allem einen Vorteil: Sie werden niemals müde.

Der US-Oberst Richard Satava propagiert unterdessen eine „neue Weltordnung der Medizin“. Werden schon seit geraumer Zeit Röntgenbilder und Untersuchungsergebnisse über Datenleitungen verbreitet, so will Satava die Telemedizin noch weiter ausbauen. Wenn der Roboter operiert, kann der Chirurg kilometerweit entfernt seine Befehle eingeben. Einsatzmöglichkeiten für die Telechirurgie sieht der Army-Mediziner vor allem im kriegerischen Fronteinsatz: Die Chirurgen sitzen im sicheren Bunker oder vor dem heimischen Computer während am fernen Kriegsschauplatz der Roboter die Satellitendaten in therapeutische Bewegungen umsetzt. Aber auch eine zivile Nutzung kann sich Satava vorstellen: Der Herzchirurg des 21. Jahrhunderts residiert in New York oder Paris, sein Patient liegt in Uganda oder Uruguay auf dem OP-Tisch. Der hochbezahlte Spezialist muß sich nicht erst in ferne Länder bemühen.

Auch in Deutschland werden die computergesteuerten Fernoperationen geprobt: an Organen aus dem Schlachthof. Die Diskussion um digitale Patienten und virtuelle Bilder aber beginnt schon auf einem weitaus primitiveren Niveau der Computermedizin. Während in den Vereinigten Staaten an über 400 Kliniken das Computerprogramm „Apache“ intensivmedizinische Daten aufbereitet und den Arzt bei der Therapie unterstützen soll, wurde der Test eines ähnlichen Systems in Deutschland schon frühzeitig abgebrochen. Die bei einer apparatemedizinschen Betreuung anfallende Datenflut überforderte Ärzte und Betreuer. Vor soviel EDV, folgerten die Entwickler von „Medex“, könne eben nur intelligente EDV retten. Der vielbeachtete Ansatz, resümierten die Entwickler nach dem Abbruch der Testphase, sei schließlich „sozial gescheitert“.

Auch Pioniere im Cyberspace, wie der US-Experte Myron Krueger von der Arteficial Reality Cooperation in Vernon, bremsen die gegenwärtige Euphorie der Entwickler. „In einem Kindergedicht versuchen sechs Blinde einen Elefanten zu verstehen, indem sie jeweils einen einzelnen Teil ergreifen, ein Bein, den Rüssel, ein Ohr oder den Schwanz. Jeder kommt zu einem ganz anderen Bild des ganzen Elefanten.“ Die Entwickler, so Krueger, arbeiten an winzigen Teilen des Gesamtkonzepts Virtual Reality. „Und dennoch stimmen wir alle darin überein, daß uns der ultimative Elefant erlauben wird, virtuelle Welten zu betreten, die wir mit all unseren Sinnen erleben können.“ Und warum, fragt Krueger, soll diese virtuelle Welt nicht stinken, wie die reale auch?

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