: Würdig sterben? Defizite in Bremen
■ Krankenhäuser haben keine Sterbezimmer, HausärztInnen wenig Ahnung von Schmerzlinderung
Drei Milliarden gibt das Land Bremen jährlich für gesundheitliche Dienstleistungen aus. Mehr als 99 Prozent davon sind dazu da, Gesundheit wiederherzustellen. „Da, wo der Tod unausweichlich ist, da bricht die Aufmerksamkeit ziemlich jäh ab“, sagte dazu gestern selbstkritisch Hans-Christoph Hoppensack, Staatsrat im Sozial- und Gesundheitsressort. Deswegen beobachtete eine Arbeitsgruppe (v.a. Hospiz-Initiativen, Krankenhäuser, Wohlfahrtsverbände) ein Jahr lang die Situation Sterbender und Schwerstkranker im Land Bremen. Gestern legte sie ihr Ergebnisse vor. „Nach wie vor erheblicher Veränderungsbedarf, zum Beispiel in den Krankenhäusern“, faßte Hoppensack zusammen.
Zwar wünschen sich 92 Prozent der BremerInnen, zuhause sterben zu können, doch jährlich verbringen rund 40 Prozent aller Sterbefälle ihre letzte Stunde in Krankenhäusern, weitere 17 Prozent in Alten- und Pflegeheimen. Problem in den Krankenhäusern: Sterbende werden zwar aus den Mehrbettzimmern herausgeschoben, jedoch meist nicht in eine würdige Umgebung, sondern in Isolierzimmer, vielleicht gar gekachelte. Einzig die St.Jürgen-Klinik hat bislang zwei Familienzimmer eingerichtet, Bremen-Ost plant einen Pavillon im Park. Immerhin werde mittlerweile den Pflegekräften in allen Häusern Fortbildung zum Thema „Umgang mit Sterbenden“ angeboten, so Hoppensack, „aber das Problem liegt in der Fläche: Allein in der St.Jürgen-Straße haben rund 1.500 Menschen mit der Pflege zu tun“.
Weiteres Defizit in Bremen: die Schmerzbehandlung. Besonders HausärztInnen tun sich extrem schwer, auf ihrem Betäubungsmittelblock ein Rezept für Morphium auszuschreiben. Legal wäre das, wenngleich etwas kompliziert – was am restriktiven deutschen Betäubungsmittelrecht liegt. Europaweit steht Deutschland recht schlecht da bei der Schmerzlinderung: Hier werden pro Jahr und pro Million EinwohnerInnen 4 Kilo Morphium verschrieben, in Dänemark dagegen 250 Kilogramm. Genauso schwer tun sich viele ÄrztInnen übrigens auch damit, Schwerstkranke zuhause zu besuchen, klagen die ehrenamtlichen SterbebegleiterInnen. Die Ärzteverbände waren zwar auch zur Arbeitsgruppe geladen, sind aber nur einmal gekommen. Die müssen noch ihre Hausaufgaben machen, so Staatsrat Hoppensack gestern.
Am intensivsten um die Verbesserung der Situation Sterbender bemühen sich derzeit wohl die Initiativen der SterbebegleiterInnen, die drei Hospiz-Initiativen „Hospiz-Hilfe Bremen“, „Pro Senectute“, „Hombre“ in Bremerhaven sowie die Aids-Hilfe. Deswegen soll der Zuschuß aus Wettmitteln für die Bremer Initiativen nun verdreifacht werden auf 150.000 Mark. Die Initiativen wollen das Geld vor allem ausgeben für die Ausbildung von weiteren ehrenamtlichen SterbebegleiterInnen (derzeit sind es rund 50), sowie für Supervision und die Koordination dieses Services. Die Pflegekassen könnten sich an den Kosten für solche Kurse beteiligen, findet Hoppensack. Auch da will die Behörde noch tätig werden.
Zwar hat die Begleitung Sterbender zuhause weiterhin Priorität für die Sozial- und Gesundheitsbehörde, doch außer der Bremer Hospiz-Hilfe basteln die Hospiz-Initiativen an Konzepten für stationäre Hospize: Wie mehrfach berichtet, baut Pro Senectute ein Haus für etwa zehn Sterbende. Und jetzt ist auch Hombre (Hospiz-Modell Bremerhaven) fündig geworden: Die Awo bietet Hombre eine Villa in Lehe an. Geplant sind acht Appartements für Sterbende und ihre Angehörigen. Den Pflegesatz von knapp 350 Mark zahlen dann anteilig die Pflegeversicherung, die Krankenkassen und der/die PatientIn bzw. das Sozialamt. Auch die Aids-Hilfe Bremen hält für ihre vorwiegend jungen, ohne familiäres Umfeld lebenden Aidskranken ein Hospiz für dringend notwendig, wurde aber vom Gesundheitsressort darauf verwiesen, sich mit Pro Senectute zusammenzutun. Ob das geht, die verschiedenen Klientel unter einem Dach, darüber debattiert man noch. cis
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