: Ort und Erinnerung verödet
■ Die letzten Tage des Krieges - eine taz-Serie (Teil 7) / Am Zellengefängnis Moabit, wo kurz vor dem Ende der Dichter Haushofer ermordet wurde, harken Kleingärtner über Gräber
„Schuldig bin ich anders, als ihr denkt“, bilanzierte 1945 der Dichter und Politiker Albrecht Haushofer seinen Widerstand im Nationalsozialismus: „Ich mußte früher meine Pflicht erkennen, mußte früher Unheil Unheil nennen, mein Urteil hab' ich viel zu lang gelenkt.“ Zusammen mit zwölf anderen Gefangenen des Zellengefängnisses Moabit wurde Haushofer in der Nacht zum 24. April 1945 erschossen.
Die Moabiter Strafanstalt, Mitte des 19. Jahrhunderts als „Preußisches Mustergefängnis“ an der Invalidenstraße Ecke Lehrter Straße erbaut, war Symbol politischer Unterdrückung und inhumanen Strafvollzugs. Seine Architektur war die steingewordene Maxime, daß man einen Menschen von seinem sozialen Umfeld isolieren müsse, um ihn zu läutern.
Zellen und Infrastruktur des sternförmigen Backsteinbaus waren so angelegt, daß sich die Häftlinge untereinander fast nie zu Gesicht bekamen. Auf dem Weg zum Gottesdienst, dem sie aus geschlossenen Kabinen folgten, wurden ihnen schwarze Masken über das Gesicht gezogen. Im Hof erging man sich in tortenstückförmigen Ein-Mann-Käfigen. Der in Berlin weitverbreitete Ausdruck: „Im Dreieck springen“, stammt aus der Invalidenstraße.
„Das Gefängnis war noch nicht fertiggestellt, da wurden hier schon polnische Freiheitskämpfer abgeurteilt“, weiß Bettina Riese von der Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung, S.T.E.R.N., die sich um das Areal kümmert. Die im Lauf der Jahrzehnte eingekerkerten Häftlinge bilden so etwas wie eine Ahnengalerie von Menschen, die sich für Freiheit und mehr Demokratie einsetzten.
Nach den Gefangenen von 1848 füllten sich die Zellen mit Aktivisten der Novemberrevolution 1918. Anfang 1940 übernahmen Wehrmacht und Gestapo das Gefängnis. „Hier saßen sie alle. Der Adel wie die Kommunisten. Der kirchliche Widerstand und Menschen, die nichts anderes verbrochen hatten, als einmal öffentlich ihre Meinung gesagt zu haben“, so Bettina Riese. Für Leute wie Paul Graf York von Wartenburg vom 20. Juli, Klaus Bonhoeffer aus der Bekennenden Kirche und den Schriftsteller Wolfgang Borchert war das Gefängnis Durchgangsstation. Von hier aus kamen sie in die Folterkeller des Prinz-Albrecht- Palais, die Hinrichtungsstätte Plötzensee oder in Konzentrationslager. Andere, wie Haushofer, saßen bis kurz vor Kriegsende in Moabit.
Berlin war von der Roten Armee schon fast eingekesselt, als eine Gruppe von 13 Gefangenen aus der Anstalt herausgeführt wurde, angeblich um sie zu verlegen. Auf dem Gelände unterhalb der S-Bahn-Station Lehrter Stadtbahnhof wurden sie erschossen. Die Wachmannschaft hatte sich vor ihren Zeugenaussagen gefürchtet. Bei der Leiche Haushofers fand man einige engbeschriebene Blätter mit 80 Gedichten, die sogenannten „Moabiter Sonette“.
Heute ist das Gefängnisgelände eine Ödlandschaft. Eine Baufirma hat hier ihre Container abgestellt, das Tiefbauamt Tiergarten lagert graue Steine, daneben liegen Autoreifen. Brombeeren wuchern. Von dem Zellengefängnis zeugt nur noch ein Teil seiner viereinhalb Meter hohen Backsteinmauer und zwei ehemalige Beamtenwohnhäuser. Über den Gräbern der Gefangenen harken Kleingärtner ihre Rosenbeete.
Ende der 50er Jahre war das Areal mit dem noch intakten Gefängnis einem Flächennutzungsplan in die Quere gekommen, der genau hier den Verlauf der Stadtautobahn vorsah. Aus der Westtangente wurde nie etwas, der Backsteinkomplex war jedoch schon mal vorsorglich abgerissen worden. Das Land verödete und mit ihm die Erinnerung.
Das soll sich demnächst ändern. In Zusammenarbeit mit S.T.E.R.N. entstand das Konzept eines Geschichtsparks. „Durch landschaftsgestalterische Maßnahmen wird das System des Gefängnisses, die totale Kontrolle, erlebbar gemacht.“
Frau Riese denkt zum Beispiel an Hecken, die die Grundrisse des Gefängnisses nachzeichnen. Wie das genau aussehen wird, darüber entscheidet demnächst ein Ideenwettbewerb. Geplanter Baubeginn ist das Jahr 1999.
Über die Finanzierung macht sich Frau Riese derzeit keine Sorgen. „So nah am Regierungsviertel kann sich niemand so eine Schutthalde leisten.“ Kerstin Schweizer
wird fortgesetzt
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