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Ethnologie des Eigensinns Von Mathias Bröckers

Abends um acht sind die Bundesbürger ein Volk und gucken die Tagesschau. Aber schon um 20 Uhr 15 zerfällt dieses Volk in zahlreiche Stämme und Unterstämme, die kaum voneinander wissen: ein globales Hobbydorf von Jägern und Sammlern, Fans und Fetischisten, Züchtern und Bastlern. Daß es sich bei den Exponenten der Hobbywelt tatsächlich um so etwas wie Stämme im ethnologischen Sinne handelt, zeigt die Kommunikation dieser tribes: Während man sich gegenseitig kaum wahrnimmt – „Golfer“ kennen die „Biker“ sowenig wie die „Kanuten“ die „Nudisten“ –, hat man intern ein Arsenal von Ritualen und Chiffren entwickelt, die Außenstehende zunehmend nicht mehr verstehen. „Das Aftergefieder muß gut anliegen“; wer nicht gerade Abonnent der Geflügel- Börse ist, könnte diese Aussage auch auf indianische Tänze beziehen. Dank Burkhard Scherers „Kleiner Ethnologie der Hobbywelt“ („Auf den Inseln des Eigensinns“, Beck-Verlag) sehen wir jetzt zumindest bei 49 verschiedenen Unterstämmen etwas klarer. Deren (Un-)Tiefen nämlich hat Scherer anhand ihrer Spezialmagazine erforscht, vom Telefonkarten-Journal, der Angelwoche über Deutsches Waffenjournal und Flash-Opel-Scene bis zum Monster-Skateboard-Magazin und den Wrestling All Stars. Zu Recht rühmt Eckhard Henscheid im Vorwort „den Aberwitz der vor nichts und abernichts zurückschreckenden Neugier“ des Autors, wer mutet sich schon freiwillig ein „Off Road“- oder Heimwerker-Magazin zu. Henscheid: „Eine kleine Kulturgeschichte des wöchentlich oder monatlich erscheinenden Schrumpfsinns also? Das auch. Wenn in ein paar Jahren die definitive Sozial- und Kulturgeschichte des Säkulums, ja Milleniums geschrieben wird: Man wird ohne den Scherer kaum auskommen.“

Dies freilich nur, wenn das wunderbare Büchlein die dringend erforderlichen Fortsetzungen, Erweiterungen, Ergänzungen erfährt. Denn die hier mit leichter Hand und starkem Witz skizzierten „Inseln des Eigensinns“ sind mehr als nur kurios, sie stellen ein weithin unerforschtes Terrain des Alltags dar. „Wie nah ist uns die Ferne, wie fern ist uns die Nähe“, das Heinz Schenk zugeschriebene Motto drückt das Dilemma aus: die bizarrsten Rituale und Abenteuer finden direkt vor der Haustür statt, und kein Schwein guckt hin. Insofern wären Heinz Sielmanns Abenteuer der Tierwelt geradezu nichts gegen „Dr. Scherers ungeahnte Hobbywelten“. Dies als honorarpflichtiger Tip an die TV- Kollegen und Mahnung an die soziologischen Wissenschaften: Hobbylogie und empirische Spezialinteressen-Forschung sind überfällig! Was schert uns der Yeti, wo das exotische Wesen des Snowboarders, Modellbahners und Wohnmobilisten gleich um die Ecke lauert. Scherers Expeditionen zu den Inseln des Eigensinns stellen insofern eine quasi kolumbische Pioniertat dar.

Was aber hält, angesichts des fortschreitenden Hobby-Wahns und explodierender Partikular-, Sonder-, und Spezialinteressen, diese unsere Gesellschaft überhaupt noch zusammen? Was garantiert, wo sich die Mehrheit des Staatsvolks nach Feierabend in hermetische Hobbyareale verflüchtigt, die soziale Kohäsion? „Es muß“, resümiert der Autor, „wohl doch die Bundesliga sein.“

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