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Endlich besser als ganz gut

■ Dank Sandor Kantor feiern sie in Dachau die deutsche Volleyball-Meisterschaft

München (taz) – Gelegentlich hat Sandor Kantor noch Mühe mit der deutschen Sprache. Langsam solle man mit ihm reden, sagt er, dann könne er alles besser verstehen, aber auch wenn er alles verstanden hat, kommt er manchmal auf keine Antwort. Was er nach einem verlorenen Spiel mache zum Beispiel, wie er seine Enttäuschung verarbeite. „Enttäuschung?“ fragt Sandor Kantor und schüttelt sanft den Kopf. Jeder kann sehen, daß ihm zu Enttäuschung wirklich nichts einfällt. Sein Trainer Stelian Moculescu findet, das sei ein Grund dafür, daß es Sandor Kantor so gut gegangen ist und seiner Mannschaft mit ihm.

Deutscher Meister sind die Volleyballer des ASV Dachau gerade geworden, am Sonntag haben sie den alten Meister Bayer Wuppertal zum dritten mal im dritten Spiel der Finalserie Best of Five geschlagen. „Auf ganz hohem Niveau“ hätten die Spiele gestanden, meinte Moculescu, aber schlußendlich war es eine überraschend klare Angelegenheit für die Seinen geworden. Ein paarmal wurde es zwar ein wenig eng, aber glücklicherweise war da immer Kantor dran mit der Angabe und hat sie mit Macht ins Feld gepowert. „Er denkt nicht an das Schlechte“, sagt Moculescu, „er haut die Dinger rein. So einen brauchst du, um zu gewinnen.“ Um so nötiger im kommenden Jahr, wenn der Münchner Vorort dank der neu geschaffenen Champions League zur internationalen Volleyball-Bühne wird.

Lange hat Moculescu an seinem ASV gefeilt, Spieler geholt, Spieler gefeuert; immer war das, was herauskam, ganz gut, aber nicht gut genug für einen Titel. Das war unerträglich für Moculescu, der mit 1860 München und Milbertshofen schon deutscher Meister war und drei Jahre lang die Nationalmannschaft trainiert hat, aber immer noch am Spielfeldrand rumtobt, als gehe es um seinen allerersten Pokal. Vor dieser Saison hat er berühmte Volleyballer fortgeschickt, darunter Leif Andersson, weil der Trainer ihnen nicht mehr zutraute, sich gnadenlos wie er zu schinden. Es kamen welche, die das wollten. Dirk Oldenburg, um zu zeigen, daß er zu Unrecht aus der Nationalmannschaft geflogen war. Frank Reimann, um zu beweisen, daß er es besser kann als bei seinem unglücklichen Zwischenspiel in der italienischen Liga. Und Sandor Kantor, der 24jährige aus Kaposvar in Ungarn. Den kannte keiner, nur Moculescu, nachdem er ihn zwei Jahre vorher bei einem Turnier in Wien zum ersten Mal hatte auf den Ball schlagen sehen. „Besser als Grozer“ sei der junge Mann, befand Moculescu vor der Saison, aber weil der Trainer bekannt ist für gewaltige Worte, hat ihm das anfangs keiner geglaubt.

Kantor machte sich ans Werk und suchte vom ersten Tag an den Kontakt zu den Kollegen. Er habe sich gewundert, „daß der mich gleich perfekt in Deutsch begrüßt hat“, erzählt Frank Reimann. Guten Tag, wie geht es Ihnen, habe er beim ersten Training gesagt, ehe sich herausstellte, daß das der einzige deutsche Satz war, den er damals konnte. Dafür knallte er sofort zuverlässig die Bälle rein. Beim Aufschlag springt er wie andere seiner Kollegen auch hoch ab und macht viele Punkte direkt; keine andere Mannschaft ist so effektiv in der Angabe wie die Dachauer, das war ihr großer Vorteil in der Saison. Und bei all dem läßt er die Knieschoner auf der Bank liegen. „Die stören nur beim Springen“, behauptet Kantor, und Moculescu freut sich, daß sich seine Entdeckung mit blanken Beinen ins Getümmel stürzt. So einer sei er auch gewesen, „ein Naturbursche“, keiner von den Zögerlingen heutzutage, die sich auswechseln lassen, wenn ihnen mal ein Ball auf die Nase fliegt.

Moculescu und Kantor sind Männer der zupackenden Art und stehen stellvertretend für alle, die bei ASV spielen. Von allzuviel Herumtheoretisieren hat der Coach noch nie viel gehalten, und auch Kantor sagt, es sei der Sache nicht dienlich, wenn man sich zu viele Gedanken macht. Volleyball erlaube keine Pausen: „Wenn du gepunktet hast, mußt du dir sagen: okay, nächster Punkt.“ Und nach einem Fehler: „Okay, weitermachen!“ So einfach kann das sein, wenn man die richtigen Leute zusammenhat und bei Laune hält.

Früher, erzählt Matthias Häberlein, der Zuspieler, hätten sie auch schon ganz gut gespielt, aber dann kam irgendeiner daher und gewann, „und dann war es aus bei uns“. Die Unsicherheit begann im Kopf und schlich sich bis in die Beine. In diesem Jahr haben sie im Pokalviertelfinale bei Post-Telekom Berlin verloren, alle dachten, jetzt gehe es dahin, und Moculescu gibt zu, daß er „schon Angst hatte, nun geht das Nerventheater wieder los“. Aber diesmal haben sich alle zusammengesetzt und danach wieder besser gespielt – und so ist aus einer einzelnen Enttäuschung keine Krise geworden.

Sandor Kantor liegt das eine so fern wie das andere: Sanft schüttelt er den Kopf und fragt: „Was ist das, Krise? Ich kenne das Wort nicht.“ Die Dachauer sind froh, daß er in diesem Jahr seinen Wortschatz nicht erweitern mußte. Holger Gertz

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