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Schaukeln fürs genitale Beiwerk

■ Kunst auf Ramschkurs: „Take me (I'm yours)“ in Londons Serpentine Gallery

Mike Kelley gastierte zuletzt mit seinen Poverty-Pop-Objekten im Museum. Jetzt eifern dem kalifornischen Künstler auch die Kuratoren nach. Im stilvollen Pavillon der Serpentine Gallery im noblen Parkambiente von Kensington Gardens präsentiert Hans-Ulrich Obrist, ein Schweizer Talentscout in Sachen zeitgenössischer Kunst mit ebenso zeitgemäßer HipHop- Mütze, mit „Take me (I'm yours)“ eine zwölfteilige Sammelausstellung, die sich in den Stichworten Kunst für Arme, Kunst für Interaktive und Kunst als Animierdame beziehungsweise -knabe fassen läßt. Hängematten, Schaukeln, künstlerische Versatzstücke wippen und zappeln durch die Räumlichkeiten und wollen bewegt, benutzt und gebraucht werden. Also nix für TraditionalistInnen, die noch um ungelöste Fragen der Zweidimensionalität wetteifern.

Bereits im Entree hat Christian Boltanski die Vorhalle in einen Billigbasar verwandelt. Bilka meets Boltanski: Hier türmen sich die Kleiderhaufen mit mehr oder weniger unmodernen Modellen auf dem Galerieboden. Dazwischen hockt das willige Kunstpublikum eher auf der Suche nach einem kunstverdächtigen Schnäppchen als nach künstlerischer Erbauung.

Berge getragener Kleidung verweisen stets unmißverständlich auf den Zusammenhang Krieg, KZ und Katastrophe. So auch der Titel „Dispersion“ (Zer-/Verstreuung). Doch bei Boltanski scheint dies allerdings mehr einer Fußnote gleichzukommen, und die Präsentation bleibt beliebig.

„You may take as much as you like!“ sagt die junge Dame am Counter und demonstriert mit britischer Beflissenheit gleich noch die preiswerten Einkaufstaschen mit dem Namenszug den Künstlers. Zur Low-Budget-Kunst die künstlerische Product-Identity als Schmankerl. Spätestens seit dem Slogan „Kauf's im Kilo“ dürfen sich Secondhand-Anbieter mit Recht die Komsumtempel der Rezession nennen. Dank Boltanski erfährt nun der Kaufrausch am Trash den avantgardistischen Segen. Nicht zu vergessen die bequemen, aber muffig mit Gebrauchtstoffen behängten Sofas, die der Skulpteur und Kollege Franz West beisteuerte.

Wolfgang Tilmans, Mode- und Porträtfotograf aus Remscheid, ist mit einer wandfüllenden Reproduktion einer bekannten Aufname vertreten: „Lutz & Alex sitzen im Baum“ und sehen mild lächend dem kunstsinnigen Treiben im Pavillon zu. Zusätzlich liegt zum Mitnehmen stapelweise die österreichische Tageszeitung Standard aus, mit Farbfotos des Künstlers. Der Beitrag von Maria Eichhorn dagegen kokettiert dermaßen mit der sublimen Unauffälligkeit künstlerischer Maßnahmen, daß er schier übersehen werden kann: Sie hat dem galerieeigenen Buchladen 52 käufliche Monographien von KünstlerInnen hinzugefügt. Eine Liste erhält man auf Anfrage.

Die amerikanische Performance-Künstlerin und Sängerin in einer Berliner Rockband, Christine Hill, hat einen Automaten mit Bedarfsgütern des täglichen (und nächtlichen) Lebens aufgestellt: Schokolade, einen Berliner Stadtplan, Gummihandschuhe und so weiter. Einen ähnlichen Kunstservice bietet der Franzose Fabrice Hilbert mit seiner Kombination aus Umkleidekabine für ausgefallene Gelegenheiten, Kletterstricken und einer „Genitalschaukel“ betitelten Vorrichtung. Ein von den BesucherInnen eher scheu erkundeter Ausstellungsteil.

Ein Kunstbanause, wer von der ganzen Ausstellung weniger Beliebiges erwartet? Obrist, ein Intimus des Portikus-Leiters Kasper König, mit dem er auch „Der zerbrochene Spiegel“ als Wanderschau zur Malerei organisierte, versteht seine Auswahl europäischer und US-amerikanischer Kunstwerke jedenfalls als unterhaltsame Einladung unter dem Motto „Kunst für alle“. Wem das zu gönnerhaft klingt, fehlt vielleicht bisher nur der passende Slogan. Gudrun Holz

„Take me (I'm yours)“, Serpentine Gallery, London. Noch bis 30. April. Vom 27. Juli bis 17. September wird die Ausstellung in der Nürnberger Kunsthalle sein.

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