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Das Superministerium ist voller Kekse

Die hessische Umwelt- und Sozialministerin Iris Blaul richtet sich in ihrem Büro ein / Gegen Atomindustrie und für Verwaltungsreform / Kritik der Umweltverbände an Ministeriumszusammenlegung  ■ Von Heide Platen

Die Einrichtung im 7. Stock des hessischen Ministeriums für Umwelt, Energie, Jugend, Familie und Gesundheit ist nicht repräsentativ, sondern eher ein bißchen angestaubt. Vom Besucherzimmer aus blickt es sich auf Busbahnhof und Bahngleise. In der Ecke stehen drei leicht defekte Diensträder, dahinter kümmert ein Ficus im stocktrockenen Topf vor sich hin. An der Wand hängt ein Foto, das, warum auch immer, „Die Schalmeienweibsen Stockach“ im Jahre 1994 zeigt.

Hier residiert seit Anfang April die neue „Superministerin“ Iris Blaul. Und die ist putzmunter und gut gelaunt. Sie stöbert durch die Schränke im Chefzimmer, in dem vor ihr die grünen Umweltminister Rupert von Plottnitz und Joschka Fischer residierten. Von Fischer blieb ein überdimensionierter Trockenblumenstrauß übrig. Die Möbel hatte schon FDP-Mann Karl-Heinz Weimar. Blaul: „Nur Männer. Kein einziger Spiegel im Schrank, aber alles voller Kekse.“ Dann kommt ihr die Erleuchtung, die sie gleich wieder mit einem Kichern verschluckt. Denn da könnte sie möglicherweise gerade ein süßes Geheimnis ihres leibesfülligen Parteikollegen Fischer entdeckt haben. Von dem stammt auch noch ein weißer Plastikhelm, den die Betreiber des Atomkraftwerkes Biblis für eine Besichtigung des Reaktors eigens mit seinem Namen beschrifteten. Auch Plottnitz hat so ein Exemplar zurückgelassen. Blaul probiert beide auf und stellt fest: „Fischer hat einen dickeren Kopf.“ Daß es eine eigene ministerielle Dusche gibt, kann sie nicht begeistern: „Die ist auf dem Männerklo.“

Iris Blaul ist zum zweiten Mal Ministerin in Hessen. Und zum zweiten Mal ist sie umstritten. Schon vor ihrer ersten Ernennung hatte sie männliche Konkurrenz in der eigenen Partei, vom Schulministerium war damals die Rede, diesmal sollte es gleich das Innenministerium als „hartes Ressort“ für die Grünen sein. Das Innenministerium? „Meinetwegen, warum nicht? Auch das ist für Grüne machbar!“ befindet die Ministerin in Aufbruchstimmung. Sie verstehe nur nicht, warum Mann so wild darauf sein könne, sich mit den Problemen von Feuerwehr und Kommunalverwaltung herumzuschlagen. Auch da gebe es schließlich mehr Verwaltungsalltag als Machtgewinn. Iris Blaul habe, wird grünenintern außerdem gesagt, in ihrer Amtszeit schon als „nur“ Sozialministerin keine glückliche Hand gehabt. Bei der Entdeckung des giftigen Kieselrot auf Sportplätzen habe sie zu spät und dann überreagiert, in der Asylpolitik gravierende Fehler gemacht, den Unfrieden im eigenen Haus nicht in den Griff bekommen. Frauen aus Frauenhäusern besetzten immer wieder ihr Ministerium, weil auch sie von Finanzkürzungen betroffen waren.

Die der SPD abgerungene Konstruktion eines „Superministeriums“, in dem Soziales mit dem Umwelt- und Energiebereich zusammengelegt wurde, macht auch externe KritikerInnen nicht glücklich. Umweltverbände liefen Sturm dagegen, teilten ihre „große Enttäuschung und Besorgnis“ mit, weil sie die Neuordnung für eine „Abwertung“ der Umweltpolitik halten.

Iris Blaul rechnet mit dem Pragmatismus einer Praktikerin: „Stell dir mal vor“, sagt sie, „daß für den ganzen Umweltsektor in Hessen nur 680 Millionen Mark da sind, das Land aber allein für die Zinsen seiner Bankschulden jährlich 2,1 Milliarden Mark bezahlen muß.“ Das sei „anderswo zwar auch so“ und auch „nicht in den Köpfen der Menschen drin“, müsse da aber unbedingt hineingehen: „Es ist nicht die Zeit, daß die Räder neu erfunden werden.“ Und gegen Förderung nach dem „Gießkannenprinzip“ wird sie streng in Richtung SPD, aber auch gegen die eigene Klientel: „Politik besteht nicht nur aus Geld verteilen.“ Und zitiert den Bettelbrief eines Wohlfahrtsverbandes, in dem gefordert wird, die im Parlament beschlossenen Haushaltskürzungen „nicht anzuwenden“. Nein, findet sie, „so geht das nicht“: „Sonst kommen wir in eine Richtung, wo nicht mehr gestaltet werden kann, sondern nur noch der Betrieb aufrechterhalten“ wird. Sie frage sich nicht nur bei der Umweltpolitik: „Was hinterlassen wir der nächsten Generation?“ Auch Politik könne „nicht sorglos von der Hand in den Mund leben“ und die Schuldenberge einfach hinter sich zurücklassen.

Ihr „Lieblingskind“ ist deshalb das, womit die Grünen derzeit den zerquälten ModernisierungsdebattiererInnen der SPD allerorten um Längen vorauseilen: Modernisierung und Umbau von Verwaltung und öffentlichem Dienst, mehr Eigeninitiative, weniger Staatsknete. Nur so könne, meint Blaul, auch konsequent und effizient Sozialpolitik betrieben werden. Im Drogenbereich sei es schließlich in Hessen gelungen, „Arbeitsweise und -strukturen“ zu verändern. Dies müsse jetzt auch im Kinder- und Jugendbereich geschehen. Dazu brauche es, klingt sie bürokratisch, „mehr Kostenbewußtsein auch beim Zuwendungsempfänger“. Und „Professionalität“, Schlagwort derjenigen, die soziale Dienste anbieten, müsse, bitte sehr, auch sinnvoll sein. „Ist es sinnvoll“, fragt sie sich selbst, daß eine „teuer ausgebildete Leiterin einer Kindertagesstätte viel zuviel Zeit mit Buchhaltung und Bürokram verbringt?“ Und antwortet sich gleich selber: „Ich meine, nein!“ Und dann schwenkt sie zu einem Bereich, der ihr wichtig war und den sie an die SPD abtreten mußte, die Altenbetreuung, und hofft: „Wenn die weitermachen, was wir auf den Weg gebracht haben, dann ist das doch nur gut.“ Alte Menschen, „die jungen Alten“, sollen einbezogen werden, denn „die brauchen wir doch eigentlich noch“. Es seien zu viele falsche Angebote, „Batik für Alte“, entstanden, „statt die was Richtiges machen zu lassen“. Gleiches gelte bei vielen Jugendlichen, die nicht damit abgespeist werden können, „Zahnstocher zu hobeln“. Und verweist auf Jugendliche, die im Wiesbadener Schlachthof ein Jugendzentrum ausbauen. Viele Einrichtungen, meint sie, deren Programme „vielleicht vor fünf Jahren noch optimal waren“, hätten es versäumt, sich gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen. Dabei verstehe sie gut, daß gerade an im sozialen Bereich einmal Erkämpftem „viel Herzblut hängt“. Manchmal sei es aber „optimaler“, Jugendlichen, wie in Viernheim, fünf Güterwaggons als „Rückzugsort“ zu geben, statt noch ein teures Jugendzentrum zu bauen.

Das Sozialministerium und das Umweltministerium werden räumlich getrennt bleiben: „Wo es geht, bleibt alles so, wie es ist.“ Die meisten Referate bleiben bestehen: „Ich kann doch nicht die Psychiatrie mit den Altlasten zusammenschmeißen.“ Das hat die Personalräte beruhigt. Nur Sohn Dario (10) wundert sich: „Das geht doch nicht, dann ist ja ein Büro immer leer.“ Tatsächlich pendelt die Ministerin ständig zwischen beiden Häusern, die zusammen auch ein „Querschnittministerium“ sein sollen, bei dem der Schutz der Umwelt mit dem der Gesundheit und Soziales Hand in Hand gehen.

Blaul erinnert sich, daß sie 1983 ihre erste Rede als Landtagsabgeordnete gehalten hat – über den sauren Regen. In Sachen Atompolitik gibt sie sich so entschieden wie ihr Vorgänger Fischer: „Atomenergie hat keine Zukunft in Hessen.“ Für Biblis sei „strengster Vollzug nach den geltenden Sicherheitskriterien“ angesagt. Ihr erster Amtsbesuch wird einem Behindertenheim gelten, das sich auf Recycling spezialisiert hat: „Das paßt doch prima zusammen.“

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