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Altersheim Schule

■ LehrerInnen-Personalversammlung fordert Zivis für die Hausaufgabenbetreuung und ein Moratorium beim Stellenabbau an Schulen

Seltene Einigkeit herrschte gestern zwischen 3.000 Bremer LehrerInnen und Axel Adamietz (FDP). Der hatte gerade zugegeben: „Die Einrichtung des Gymnasiums im Schulzentrum Obervieland war eine der größten politischen Fehlentscheidungen im Bildungsbereich“. Ansonsten hatte die Personalversammlung der Bremer LehrerInnen allerdings überwiegend laute Pfiffe und entrüstetes Gemurmel übrig für die Vorstellungen zur Schulpolitik von Bringfriede Kahrs (SPD), Elisabeth Motschmann (CDU), Karin Krusche (Grüne) und Axel Adamietz.

„Wie wollen Sie verhindern, daß der Lebensraum Schule endgültig zum kollektiven Altersheim wird?“, fragte Erika Bosecker, Vorsitzende des Personalrates Schulen, im vollbesetzten Saal des Congreß Centrums Bremen. Und Rudolf Hickel, Ökonomie-Professor an der Bremer Universität sagte: „Wenn Politiker Verwaltungsreform sagen, dann meinen sie den finanziellen Aderlaß im Bildungsbereich“. Eine „Pogromstimmung“ und „Hetze gegen LehrerInnen“ habe Einzug gehalten in die Debatte um die Reform des öffentlichen Sektors. Wenn die Wahlplakate der hier vertretenen Parteien ernst gemeint seien, dann müßte kräftig in den Bildungsbereich investiert werden: „Aber Wahlkampf ist ja bloß eine Show, bei der noch mehr als sonst die Probleme vertuscht werden“. Unter tosendem Applaus verließ Hickel das Rednerpult, kam dabei leicht ins Straucheln. Das brachte ihm das Lob ein: „Herr Hickel hat sich ja fast bis zum Umfallen für uns eingesetzt“.

Laute Pfiffe und Buh-Rufe dagegen für Elisabeth Motschmann: „Es gibt in Bremen etwa 500 LehrerInnen mehr als zum Beispiel in Hannover. Das hängt mit den Stufenschulen in Bremen zusammen. Die CDU will deshalb zurück zum gegliederten Schulsystem“.

Das gleiche Echo gab es für Axel Adamietz: „Die F.D.P. ist für eine Differenzierung der Lehrer-Pflichtstunden. Ein Sportlehrer, der keine Klausuren korrigieren muß, kann zum Beispiel mehr Stunden unterrichten. Junge Lehrer können mehr arbeiten und damit ältere entsprechend entlasten“. Das Publikum forderte Adamietz auf, doch mal für einen Tag an eine Bremer Schule zu kommen, dann würde auch er merken, daß Sportlehrer auch ohne Klausuren zu korrigieren alle Hände voll zu tun hätten. Skepsis gegenüber Bringfriede Kahrs, die sich vorstellen kann, „ab 1996 jede frei werdende Stelle im Schuldienst wieder neu zu besetzten“.

Dagegen die LehrerInnen aus dem Publikum: „Ich beginne meinen Beitrag mit den Worten J'accuse, Ich klage an“, so Frieder Gernsheim aus Lesum. „Ist es denn verfassungsgerecht, Schüler – vor allem ausländische Schüler – nach Hause zu schicken, während andere Klassen ohne Abstriche unterrichtet werden?“. Sein Vorschlag: „Pro 100 Schüler einen Zivildienstleistenden zur Hausaufgabenbetreuung, an unserer Schule wären zehn bis zwölf Zivis gerade ausreichend“. Und Jürgen Borger, Vorstandsmitglied der GEW, forderte: „Ein Moratorium beim Stellenabbau in den Schulen, ähnlich wie die Regelung für die Polizei, die der Senat vor zwei Jahren gefunden hat“.

Ein anderer Lehrer meinte: „Ich bin ohne große Erwartungen hierher gekommen, auch heute wurde drumrum geredet. Ich bin einer von den Sportlehrern, die keine Klausuren korrigieren müssen. Früher habe ich mit Axel Fußball gespielt – ich bin an der Basis geblieben. Ich kann auch nicht so gut reden wie er, sonst säße ich heute da oben“.

Statt sich auf Politiker verlassen, wollen die LehrerInnen jetzt Eigeninitiative entwickeln. Geplant ist dazu ein „Volksbegehren zur Sicherung der materiellen Mindestausstattung der Bremer Schulen“, das vom Zentralelernbeirat (ZEB) und der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) unterstützt wird. Am 14. Mai sollen dafür Unterschriften vor den Wahllokalen gesammelt werden. Folgerichtig lautete das Fazit der Veranstaltung: „Was haben wir heute gelernt? Wir müssen es selber machen“. Elke Gundel

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