piwik no script img

■ Eine Adoptivberlinerin beobachtet den Ausgang der französischen Präsidentschaftswahlen und wundert sichEin anderes Land, ein anderer Stil

Am 24. April treffen sich abends die Berlinerinnen und Berliner, kurzärmlig und in Shorts, in den Straßencafés, um die erste Nacht eines verfrühten Sommers zu genießen. Die Balkonfenster sind zu meiner Adoptivstadt hin weit geöffent, und doch bin ich anderswo, angekettet an das TV5, die Nabelschnur, die mich mit Frankreich im Wahltaumel verbindet. Man hatte das Wahlstudio nach Science-fiction-Manier in ein großes Raumschiff verwandelt: überall Bildschirme, Schalthebel, Druckknöpfe. Frankreich ist schließlich ein modernes Land. Inmitten dieser lächerlichen elektronischen Szenerie thronen die Stars des Abends: die Wahlmoderatoren. Zu ihrer beider Seiten sitzen, im Halbrund aufgereiht, die Repräsentanten der politischen Kaste Frankreichs. Von den „großen Schulen“ des Landes zur Elite gestanzt, arrogant, geben sie ihre pompösen Statements wie aus einer Käseglocke heraus ab. Sie haben sich alle einer grandiosen Mission verschrieben: der Rettung Frankreichs. Fast spüre ich Sehnsucht nach den deutschen Politikern mit ihrem schweren, provinziellen Akzent und ihrer Rhetorik braver Kinder.

Die Debatte im TV5 hat begonnen. Die Debatte? Diese Damen und Herren jaulen, höhnen, ziehen exzessiv die Augenbrauen hoch, nehmen sich fast gewaltsam das Wort, drohen, das Studio zu verlassen, und bleiben dann doch sitzen. Die zierlich-propere Dame von der „Front National“ hebt wie in der Schule den Finger, um ihrem Couplet über die ruinösen Folgen der Immigranteninvasion nach Frankreich mehr Nachdruck zu verleihen. Im Hintergrund des Studios, von Zeit zu Zeit nachlässig von den Kameras gestreift, ist ein Strauß sehr schöner Mädchen drapiert – wie Blumentöpfe. Frankreich ist schließlich auch das Land der Liebe!

Und, um zu unterstreichen, daß Frankreich auch ein Land ist, wo man denkt, steht die unvermeidliche Batterie der „Intellektuellen“ zur Verfügung, André Glucksmann an der Spitze. (Schon gesehen? Er hat sich endlich seine Tolle kürzen lassen!

Auf alle Fälle hat er seinen Coup gut vorbereitet. Kaum hat Jean-Marie Le Pen das Wort ergriffen und sein breites Grinsen auf dem Riesenbildschirm sehen lassen, der den Halbkreis dominiert, springt Glucksmann von seinem Platz auf, wo er bis dahin blasiert vor sich hinzudösen schien, heftet sich, offensichtlich indigniert, an die Seite der Star-Moderatoren und beginnt, Le Pen zu löchern). Ich frage mich, auf welchem fremden Planeten ich mich im fünften Stockwerk meines Berliner Hauses wiedergefunden habe! Und ich vergleiche diese Monstershow mit den dürftigen deutschen Wahlabenden. Dort läuft ein weniger theatralisches, dafür aber nüchterneres Ritual ab. Man stelle sich vor, die durch und durch funktionalen, etwas im spießigen Stil der 70er Jahre gehaltenen Studios der ARD würden zu Raumstationen umgebaut. Stellen Sie sich Jürgen Habermas vor, wie er auf die Fernsehbühne hüpft, um Franz Schönhuber zum Schweigen zu bringen! Stellen Sie sich Klaus Kinkel oder Helmut Kohl ohne ihren Dialekt vor, affektiert, Aristokraten gleich. Ein anderes Land, ein anderer Stil.

Der französische Wahlabend verliert jetzt an Schwung. Gelangweilt zappe ich: „Talk im Turm“. Ignatz Bubis, Arnulf Baring und Rainer Zitelmann zerfleischen sich hingebungsvoll angesichts der Frage, welche Bedeutung die Erinnerung an den 8. Mai für die heutigen Deutschen haben soll. Die große Malaise der Deutschen mit Deutschland. Ich habe noch die Ohren voll von dem patriotischen Gewäsch auf TV5. „An Frankreich glauben“, ist der Slogan Balladurs, „Frankreich muß endlich dem Sozialismus entrissen werden“, meint der Vicomte Philippe de Villiers, der hofft, daß die „Vorsehung“ ihm bei seinem noblen Unternehmen beistehen wird. Und selbst der Kommunist Robert Hue gibt zu bedenken: „Das Wahlergebnis Le Pens ist schlecht für Frankreich“.

Ein personifiziertes Frankreich, an das man sich wendet, statt an die Bürger, die es bewohnen. Für die Linke ist es Marianne, die die republikanischen Tugenden verkörpert, für die Rechte ist es Jeanne d'Arc und der Dreiklang Familie- Arbeit-Vaterland.

Wer wäre in der Bundesrepublik so dreist, so schamlos, auf diese Weise „Deutschland“ anzurufen? Ich freue mich, wie Bubis Zitelmann attackiert und mit Erleichterung verfolge ich die gesunde Kontroverse, die Arnulf Barings Thesen auslösen. Sich ein Deutschland zu wünschen, das seiner selbst sicherer ist, die „Gnade der späten Geburt“ für das „Vaterland“ einzufordern, sind Allüren ohne jede Angriffskraft, verglichen mit der Wucht des Nationalismus, von der Frankreich getroffen wurde. Jean-Marie Le Pen hat 15 Prozent der Stimmen eingeheimst und hat damit seinen bisherigen Rekord, 14 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen 1988, übertroffen. Sein Rivale de Villiers fügt generös seinen Anteil zur nationalistischen Rechten hinzu.

Als ich Frankreich vor mehr als zehn Jahren verließ, um im Ausland zu leben, wagte es niemand, seinen Wahlentscheid für Le Pen mit lauter Stimme zu verteidigen. Heute gilt der „Lepenismus“ als respektabel und ist tief in der politischen Landschaft Frankreichs verankert. Welche Kompromisse werden die Politiker der demokratischen Rechten in Frankreich eingehen, um die Wähler rechts von der Rechten zu gewinnen?

Ich frage mich ernsthaft, welches unserer beiden Länder wirklich vom nationalistischen Wahn ergriffen ist. Frankreich, wo die extreme Rechte heute stärker ist als sie es jemals zur Zeit der Fünften Republik war? Oder jenes Deutschland, das sich angesichts seiner selbst unbehaglich fühlt, dem man in Paris mißtraut, und wo die diversen extremen Rechten zusammengenommen bei den Wahlen auf Bundesebene mal gerade drei Prozent auf sich vereinigen konnten und niemals seit dem Krieg auch nur einen Sitz im Bundestag erhielten? An diesem Abend fand ich Deutschland unendlich sympathisch. Pascale Hugues

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen