■ Nachgefragt: „Polizei anerkennen“
taz: Haben Sie mal gerufen: „Haut die Bullen platt wie Stullen“?
Martin Thomas: Nein, aber ich habe die Polizei als Handlanger staatlicher Politik sehr abgelehnt und habe heute ein viel differenziereres Bild gegenüber den Aufgaben und der Notwendigkeit von Polizei. Und das ist nicht nur bei mir so, sondern auch bei den Grünen und insgesamt in der alternativen demokratischen Bewegung.
Was hat sich da geändert?
In den 80er Jahren ist die Polizei von der herrschenden Politik massiv instrumentalisiert und mißbraucht worden zur Durchsetzung der Aufrüstung und des Atomprogramms...
Passiert beim Castor-Transport jetzt nicht das gleiche: Die Polizei prügelt die Schienen frei für den Atomstaat?
Das damalige Atomprogramm ist doch gescheitert. Das ist ein großer Erfolg der Anti-AKW-Bewegung. Aber natürlich gibt es noch Atomkraftwerke, und es stellt sich die Frage der Entsorgung. Die Polizei muß sich heute wieder überlegen, ob sie nicht schon wieder die herrschende Politik mit durchsetzt.
Hätte die Polizei sich beim Castor-Transport anders verhalten, wenn sie – wie Sie jetzt fordern – besser bezahlt und ausgebildet wäre?
Nein. Es geht mehr darum, daß auch wir, die wir protestieren, erkennen, daß nicht die Polizei diejenige ist, die das Atomprogramm zu verantworten hat. Wir müssen den Protest zivil organisieren und jede Gewalt gegen Polizeibeamte vermeiden. Heute geht es nicht mehr um die Systemfrage, sondern um die Reform hin zu einer sozialen und ökologischen demokratischen Gesellschaft. Dazu müssen auch bestimmte zivile Rahmenbedingungen anerkannt werden. Polizei agiert einerseits sehr politisch, aber muß eben auch die Einhaltung der Gesetze verfolgen. Und die Polizei hat erkannt, daß sie erst zur Durchsetzung politischer Ziele mißbraucht wurde, später dann aber, als die Politik sich längst von den eigenen Fehlern distanziert hatte, von ihr im Regen stehen gelassen wurde.
Warum können die Grünen jetzt in Bremen um Stimmen werben mit der Forderung: Polizei besser bezahlen und ausbilden?
Das hat mit der wachsenden Kriminalität zu tun, die auch unsere eigene Lebensqualität beeinflußt. Wohnungseinbruch, Fahrraddiebstahl, Autoradiodiebstahl – das alles hat jeder von uns mehr oder weniger oft erlebt. Die schwierige Aufgabe der Polizei wird deshalb von uns allen mehr anerkannt.
Woher wissen Sie, das sich das Polizei-Bild so geändert hat?
Das erlebe ich zum Beispiel in Diskussionen bei den Grünen selbst. Die Grünen haben jetzt zum ersten Mal überhaupt eine Aussage zur Polizei in ihr Wahlprogramm aufgenommen. Meine Aufgabe war es in den letzten vier Jahren, ein differenzierteres Bild von der Tätigkeit der Polizei darzustellen und dafür zu werben, diese schwierige Aufgabe zu respektieren, Kritik zu üben, wo Macht mißbraucht wird, aber auch für soziale Fragen der Polizei zu werben. Mein relativ schlechter Listenplatz zeigt, daß die Innenpolitik bei den Grünen noch mit sehr viel Distanz beobachtet wird. Ich spiele da eine Art Vorreiterrolle.
Oder gehen die Grünen jetzt auch auf Stimmenfang bei der Polizei?
Es ist ganz nützlich, einen Martin Thomas zu haben, der dieses Thema anpackt, aber so taktisch wird die Frage bei uns nicht behandelt.
Gibt es denn Grün-Wähler bei der Polizei?
Ja, wir haben sogar Mitglieder bei der Polizei. Aber die möchten noch nicht öffentlich auftreten. Das hat damit zu tun, daß in der Polizei selbst kritische Polizisten noch immer als Nestbeschmutzer diskreditiert werden. Fragen: Dirk Asendorpf
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen