: Zuviel Schnee, zuwenig Geld
■ Godard schlägt einen New Yorker Kritikerpreis für sein Lebenswerk aus: „Ich habe nicht einmal verhindern können, daß Spielberg Auschwitz rekonstruiert hat“
Nicht wenig verblüfft sah sich kürzlich ein Kritikerzirkel um die Zeitschrift Film Comment in New York, der sich anschickte, Jean- Luc Godard einen Spezialpreis für sein Werk zu verleihen. In dürren Worten mußte der Leiter des Zirkels, der Regisseur Arthur Penn, mitteilen, daß man statt des Meisters selbst mit einem Fax aus Paris vorliebnehmen mußte, in welchem geschrieben stand:
„Sehr geehrte Herren,
Ich danke Ihnen für Ihre elektronische Mitteilung vom 20. April. Zu schlechte Gesundheit. Zuviel Schnee auf dem Flughafen und zuwenig Geld gespart, um mir ein Flugticket zu kaufen. Hollywood hat die Angewohnheit, Ihrem Diener zu bescheinigen, er sei nicht zum Geschichtenerzählen gemacht. Darauf habe ich im letzten Kapitel meiner Filmgeschichte geantwortet, daß nichts verlorengeht – Ehrensache.
Es ist deshalb meine Pflicht – es gibt keine Rechte mehr für Autoren, nur Pflichten –, die Ehre, die Sie mir erweisen wollen, nicht anzunehmen. Bitte akzeptieren Sie folgende – unvollständige – Liste von Erklärungen für mein Benehmen: Während seiner Laufbahn als Filmemacher war JLG nicht in der Lage
– Monsieur Steven Spielberg an der Rekonstruktion von Auschwitz zu hindern
– Madame Ted Turner (Jane Fonda) zu überzeugen, daß die teuren Gesichter unserer Vergangenheit nicht koloriert werden dürfen
– Bill Gates dafür verurteilen zu lassen, daß er sein Büro „Rosebud“ nannte
– Kritikerzirkel in New York davon zu überzeugen, daß sie Shirley Clarke, eine praktisch in Vergessenheit geratene Regisseurin der amerikanischen Neuen Welle, bei ihren Lobpreisungen bedenken
– die Oscar-Verleiher davon zu überzeugen, daß Abbas Kiarostami und vor allem Kieslowski für ihre Arbeit entschädigt werden sollen
– Madame Keaton davon zu überzeugen, die Biographie von Bugsey Siegel zu lesen
– „Le Mépris“ mit Sinatra und Kim Novak zu drehen etc.
Ich habe meine lange Reise zum Haus des Kinos noch nicht beendet, aber ich habe schon einige Häfen verpaßt. Ich will weder ein Mädchen in jedem Hafen (Filmtitel von John Ford, die Red.) noch eine Ehrung, die ich nicht verdient habe.
Übergeben Sie statt dessen meine Auszeichnung an das Bleeker Street Cinema, wenn es noch existiert [es existiert nicht mehr, die Red.]. Stets der Ihre, Jean-Luc Godard.“ mn
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen