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Kaninchen an Farbpigment

■ Kochdünste und Espressomaschinengeschnurgel in der Städtischen Galerie: Zwei Künstler inszenieren ihren Alltag

Kunst als sinnliches Totalerlebnis: Dazu gehört neben der Farbe auf der Leinwand auch „die gurgelnde Espressomaschine, der schnurrende Kühlschrank, das leise in Wein köchelnde Kaninchen“ – so versprechen es Helmut Streich und Hans Roth. Die beiden Künstler haben die Idee der „work-in-progress“-Ausstellung reaktiviert, bei der das Publikum die Kunstschaffenden mitten bei der Arbeit erleben soll. Was in der Galerie Gruppe Grün schon seit langem praktiziert wird – Streich ist dort Gründungsmitglied –, wird nun in die Städtische Galerie im Buntentor übertragen.

Seit einigen Wochen lebt und arbeitet Streich dort an einem „Zusammenspiel“ (so der Titel der Ausstellung), gemeinsam mit seinem Hamburger Malerkollegen Hans Roth. Das heißt: Die beiden Künstler haben nicht nur ihre Werkstatt in der Galerie aufgebaut, sondern auch ihre Matratzen, die Kochnische und den Kühlschrank.

Bei der Eröffnung am morgigen Samstag (19 Uhr) wird demzufolge auch kein abgeschlossenes Ausstellungskonzept präsentiert. Vielmehr wird die Eröffnung selber nur eine kurze Pause markieren, nach der die Künstler ihre Arbeit vor Ort wieder aufnehmen, um den Besuchern eine direkte Teilhabe nicht nur am kreativen Prozeß, sondern auch am profanen Lebensablauf der beiden Maler zu ermöglichen.

Die so angekündigte Privatheit wirkte bei der Vorbesichtigung freilich eher wie ein halbherzig betriebener Öffnungsversuch. Es bleibt abzuwarten, ob die Installation von Suppe und Bett in der Galerie mehr sein wird als ein bloßer PR-Gag, um Besucher anzulocken.

Was diese betrifft, so sticht zunächst eine irritierende Disharmonie ins Auge: Der konzeptionelle Formalismus der bunten, in sich monochromen Farbtafeln von Hans Roth will, so scheint's, nicht recht zur spielerischen Formenvielfalt von Helmut Streich passen. Aber genau das soll er auch nicht, wie Streich betont, denn: „Was paßt, ist langweilig“. Recht hat er.

Und so entdeckt man bei längerem Hinsehen neben der beiden Malern gemeinsamen Begeisterung für Farbpurismus ein interessantes Spannungsverhältnis zwischen dem „Kopfmaler“ Hans Roth und dem „Körpermaler“ Helmut Streich, zwischen reduktionistischem Malgestus auf der einen und expressivem auf der anderen Seite. Und noch etwas fällt auf: Obwohl beide Künstler sich nach eigener Aussage auf den reinen Farbausdruck beschränken, lassen sich stellenweise doch politische Inhalte aus ihren Bildern ablesen. Bei Roth auf symbolischer Ebene, in Form einer verdoppelten Schwarz-Rot-Gelb-Kombination (Ostwestdeutschland?), bei Streich als eingeschriebener Text. „Wir wollten, daß es geschah, ehe der Krieg vorüber war und keine Gelegenheit dazu mehr sein würde“, zitiert er gleich zweimal – in seinem Bild „anything goes“ und als Fresko an der Decke der Galerie – den Ausspruch des Atomphysikers Robert Oppenheimer zum Atombombenabwurf in Hiroshima. Worüber sich natürlich leichter das gesuchte Gespräch führen läßt als über die Wirkung von Farben.

Moritz Wecker

„Zusammenspiel II“, Städtische Galerie, Eröffnung: Samstag, 29.4., 19 Uhr, bis 21. Mai

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