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Deportationsorder mit deutscher Unterschrift

■ Interview mit dem Genozidforscher Vahak N. Dadrian über die enge Zusammenarbeit zwischen deutschen und türkischen Militärs

Vahak N. Dadrian, US-Bürger armenischer Abstammung, war Professor an der State University of New York und ist zur Zeit Direktor eines umfassenden Forschungsprojekts im Rahmen der Guggenheim- Foundation. Von Dadrian erscheint in diesem Jahr eine umfassende Studie über „The History of Armenian Genocide, Ethnic Conflict from the Balkans to Anatolia to the Caucasus“. In diesem Buch hat Dadrian als einer der ersten Wissenschaftler auch den Anteil des deutschen Militärs am Völkermord an den Armeniern untersucht. Darüber hinaus ist in der Reihe „The Widening Circle of Genocide“, herausgegeben von Israel Charny, eine Dokumentation des Genozids aus deutschen und österreichischen Quellen erschienen, die Dadrian zusammengestellt hat.

taz: Herr Dadrian, wann begann die deutsch-türkische militärische Zusammenarbeit, die nach Ihren Recherchen in einer deutschen Unterstützung des Völkermordes an den Armeniern mündete?

Vahak N. Dadrian: Es begann mit dem Amtsantritt von Freiherr von Goltz 1882 als Militärberater in Istanbul. Von Goltz stammen die Anregungen und Überlegungen, die Türkei solle sich aus Europa, vom Balkan, zurückziehen und statt dessen nach Asien expandieren. Diese Überlegungen blieben aber so lange eher theoretisch, bis die Türkei im ersten Balkankrieg 1912 eine entscheidende Niederlage erlitt. Dieser Krieg war für die Armenier im Osmanischen Reich der Wendepunkt. Seitdem war die regierende Ittihad-Partei, die Partei, die später für den Völkermord verantwortlich zeichnete, davon überzeugt, daß sich nun alle äußeren und inneren Gegner des Osmanischen Reiches, Russen und Armenier, auf die Ostgebiete konzentrieren würden. Die Türken fürchteten eine russisch-armenische Allianz, bis hin zu einer offenen russischen Intervention. Zu diesem Zeitpunkt hat sich in der Ittihad der Flügel durchgesetzt, der die armenische Frage ein für allemal klären wollte: durch die Ausrottung der Armenier.

Waren an diesem Entscheidungsprozeß innerhalb der Ittihad Deutsche beteiligt?

Soviel ich weiß, nein. Aber durch den letzten Vertrag der europäischen Mächte mit dem Osmanischen Reich, der Februar 1914 vor allem auf russischen Druck verabschiedet wurde, sahen die Deutschen, der deutsche Kaiser, auch ihre Interessen gefährdet und begannen deshalb, ernsthaft über die deutsch-türkische Militärallianz nachzudenken.

Bereits im Dezember 1913 hatte der Kaiser am Auswärtigen Amt vorbei eine deutsche Militärmission nach Istanbul geschickt. Das hat wiederum Rußland sehr aufgeregt, und seitdem hat sich die Situation für die Armenier verschärft. Die armenische Frage wurde eine russische Frage für die Türken und eine russische Frage für die Deutschen. Dem vorangegangen war der Putsch der Ittihad, durch den sie praktisch eine Einparteiendiktatur durchsetzte. Seitdem hat die Ittihad einen Anlaß gesucht, um mit der Ausrottung der Armenier beginnen zu können.

Welchen Einfluß hatte der Putsch der Ittihad auf die deutsch- türkischen Beziehungen?

Die Beziehungen wurden enger. Beispielsweise haben die Deutschen Polizeiberater geschickt, die der Ittihad geholfen haben, eine effektive Geheimpolizei aufzubauen. Seitdem hatte die Ittihad Dossiers über alle armenischen Führer. Mit der Einrichtung der Militärmission im Dezember 1913 übernahmen die Deutschen dann auch die Reorganisation des türkischen Militärs. Die gesamte Mobilmachung nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde von den Deutschen organisiert.

Waren die deutschen Offiziere in der Türkei nach wie vor dem Reich verantwortlich oder waren sie von den Osmanen als Experten eingekauft?

Das waren alles deutsche Offiziere, die der Kaiser selbst ausgesucht hat und deren oberster Chef, General Liman von Sanders, einen direkten Zugang zum Kaiser hatte. Der Einfluß der Deutschen nahm dann noch zu, als nach dem Kriegsausbruch die Türken mit den Deutschen am 2. August 1914 einen Geheimvertrag abschlossen, der vorsah, daß die Türken im Kaukasus eingreifen, sobald Deutschland und Rußland sich im Kriegszustand befinden. Als Gegenleistung erhielten die Türken sehr viel Geld und materielle sowie menschliche Hilfe. Eine Klausel dieses Vertrages legte fest, daß jeder türkische Kommandant einen deutschen Stabschef bekam und umgekehrt. Deshalb wurde der Stabschef des türkischen Kriegsherren Enver Pascha der deutsche General Fritz Bronsart von Schellendorf.

Was wußten nach Ihrem Kenntnisstand Bronsart, von Sanders und der deutsche Botschafter Freiherr von Wangenheim über die Planung der Ittihad zum Völkermord an den Armeniern? Die Osmanische Armee war ja nicht direkt an den Massakern beteiligt, die von Spezialorganisationen der Partei durchgeführt wurden.

Liman von Sanders hatte schwere Meinungsverschiedenheiten mit Bronsart und hat von der Planung der Ittihad wenig gewußt. Der führende Mann im Hauptquartier war Bronsart von Schellendorf. Wir kennen zumindest ein Dokument, wo Bronsart den Deportationsbefehl für armenische Soldaten unterschrieben hat. Die armenischen Soldaten waren, unmittelbar nachdem man sie eingezogen hatte, ausgesondert, entwaffnet und in Arbeitsbataillonen zusammengefaßt worden. In seinem Deportationsbefehl gegenüber solchen armenischen Arbeitssoldaten hat Bronsart einen türkischen Begriff gebraucht, der seit dem Ende des 19. Jahrhunderts in der Türkei als Codewort für Massaker gebraucht wurde. Tatsächlich wurde die Mehrzahl der Armenier in diesen Arbeitsbataillonen mit brutalsten Mitteln abgeschlachtet. Im Bonner Auswärtigen Amt gibt es eine Fülle von Belegen, aus denen hervorgeht, was mit diesen Arbeiterbataillonen geschah.

Gibt es denn Quellen, aus denen hervorgeht, daß die Deutschen davon wußten, daß die Deportation der Armenier keine kriegsbedingte Maßnahme darstellte, sondern den Beginn der Ausrottung der Armenier im Osmanischen Reich bedeutete?

Die Türken haben die Befehle zur Deportation für die Vernichtung der Armenier ausgenutzt.

War das den Deutschen klar oder nicht?

Das weiß man nicht. In einem Bericht des österreichischen Konsuls Kwiatkowski aus Trabzon heißt es, er wisse aus zuverlässiger Quelle, daß die Beseitigung der Armenier durch die Deutschen angeregt wurde, allerdings nicht mit den Methoden, die die Türken dann gebraucht haben. Das beschreibt die generelle Situation: Es gibt keinen Beleg, kein Dokument, aus dem hervorgeht, daß die Deutschen direkt Massaker befohlen haben.

Es wäre allerdings naiv, zu glauben, die Deutschen hätten nicht damit gerechnet, daß die Deportationen zu Massakern führen würden. Es gibt Briefe von deutschen Offizieren, in denen diese schreiben, daß wir mindestens mitschuldig seien, weil wir diesen Völkermord als Verbündete geduldet haben. Es gibt Berichte deutscher Offiziere, die sich über ihre Kollegen im Hauptquartier beschwert haben, zum Beispiel weil ein Major Böttrich, Offizier für Eisenbahnlogistik im Hauptquartier, den Deportationsbefehl für 18.000 Armenier, die an der Bagdad-Bahn gearbeitet haben, unterschrieben hat. Als der deutsche Außenminister von Jagow davon hörte, schrieb er einen Brief, in dem er sich darüber beschwert, daß Deutsche solche diskreditierenden Befehle unterschreiben.

Es gibt einen Fall, in dem nachgewiesen werden kann, daß ein deutscher Offizier aktiv an der Vernichtung der Armenier beteiligt war. Das ist der Offizier Graf Wolfskiel, Adjutant von Fahri Pascha, der beauftragt wurde, einen Aufstand der Armenier in Urfa niederzuschlagen. Daraufhin hat Wolfskiel das armenische Viertel in Urfa mit Artillerie komplett zusammenschießen lassen. Wolfskiel beschrieb dies selbst in Briefen an seine Familie.

Es gibt aber auch genauso Offiziere, die sich geweigert haben, mitzumachen. Besonders wichtig ist ein Bericht eines Oberst von Stange an die deutsche Militärmission vom August 1916, in dem er beschreibt, daß die offizielle Auskunft der türkischen Regierung, es gebe keine Massaker, eine Lüge sei. Er habe mit eigenen Augen die Greuel gesehen, und er wisse, daß die Türken mit der Ausrottung der Armenier einen langgehegten Plan umsetzen, bei dem der Krieg ihnen den Vorwand liefert.

Ist jemals nach dem Krieg, während der Prozesse in Istanbul oder in einem anderen Zusammenhang, die deutsche Rolle bei dem Völkermord zum Thema geworden?

Nein, nirgendwo. Interview: Jürgen Gottschlich

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