"Berlin an der Szene"

■ Ein provinzielles Buch über die Modemetropole Berlin

Paris liegt an der Seine, Berlin aber an der Szene. Und auch dort tat und tut sich eine Menge à la mode.“ Wer Kurt Geislers Nachwort zuerst liest, ist schon reichlich gewarnt. So schwer dieser Vergleich zu verdauen ist, so ungenießbar ist sein Büchlein der Modekurzgeschichten aus Berlin. Geisler, Geschäftsführer der Berliner Mode-Messe- GmbH und einst Chefredakteur der Zeitschrift Der Herr, ist vorrangig eitel. Auf Biegen und Brechen muß er der Öffentlichkeit kundtun, daß er den großen Karl nach Berlin geladen hat, ja daß er ihm sogar beim nahrhaften Designer-Menü zuschauen durfte, das mit einer Berliner Weißen, Bratheringen und -kartoffeln plus Kohlroulade garantiert zu Sodbrennen geführt haben muß.

Krampfhaft erzählt er lausige Anekdoten davon, wie er im dämmrigen Hotelzimmer die Smokingjacke zur dunkelblauen Sporthose wählte und von Modeprofis deshalb für seine – „Donnerwetter!“ – schicke Kombination gerühmt wurde. Er schmückt sich mit Stories über Roman Polanski, der einen Fototermin (er sollte als „Titelheld“ des Herrn eingekleidet werden) wegen einer kurzen Nacht vom Vormittag auf den Nachmittag und dann auf den späten Nachmittag verschoben hatte – natürlich vergißt er nicht zu erwähnen, daß der Regisseur dabei „ein paar Flaschen Mineralwasser“ zu sich nahm, den Termin aber innerhalb einer Stunde durchzog – eben „ein Profi mit Allüren“.

Geisler hat noch mehr Profis getroffen: Hans Rosenthal war so pünktlich und professionell, daß man morgens um zehn schon ein Schnäpschen auf die gelungene Arbeit trinken konnte, und auch mit Karl-Heinz Köpcke war er schon essen – allerdings wurde der Nachrichtensprecher nicht erkannt, da er sein „Haupthaar in Hamburg gelassen“ hatte. Das muß wahrscheinlich so etwas wie ein verlorener Abend für den prominentenergebenen Geisler gewesen sein. Dann weiß er auch Ungeheuerliches zu berichten: Ein russischer Designer hatte 25.000 Dollar für eine Show gefordert. Außerdem probten, es ist kaum zu fassen, Mannequins 1984 auf der ersten Designerschau in Berlin (gar in der Nationalgalerie) den Aufstand! Eine Designerin hatte vorwiegend braun-schwarze Outfits entworfen und fand, diese kämen richtig nur auf heller Haut zur Wirkung. Untermauert hatte sie dies mit der Bemerkung „bei einer deutschen Designerschau will ich auch deutsche Mädchen“. Woraufhin die Mannequins in Eigenregie die Kleidungsstücke der Designerin wild durcheinanderkombinierten, die Designerin ihre Kollektion zurückzog und der Eklat für Geisler perfekt war. Bei ihm liest es sich so: Schlimm genug, wenn Frauen rebellieren, aber wenn's auch noch Mannequins, sprich nach Geisler-Art: „die Mädchen“, tun... Ansonsten bemüht sich Geisler, die Frauen mit Sekt und Champagner bei Laune zu halten, aber: „Daß sie dennoch manchmal so aussehen, als plage sie der Weltschmerz, muß man nicht gleich als sophistication auslegen...“! Und: „...dennoch erstaunt es einen immer wieder, welchen Appetit die Girls nach der Schau entwickeln. Danach wären die Laufsteganstrengungen mit denjenigen eines Bergbaukumpels vergleichbar.“

Angesichts solch peinlicher Statements wird überdeutlich, wie provinziell es in Berlin zugeht. Mit einer Modemetropole hat dies nichts zu tun – da reicht auch der oberflächliche historische Rückblick nicht. Bei der Lektüre wünscht man sich gar, Robert Altman hätte seine eher fadenscheinige Pariser Prêt-à-porter-Story in Berlin spielen lassen, vielleicht hätte er hier genügend Anregungen gefunden, um boshaft zuzubeißen. So aber bleibt kein Zweifel: Lange noch wird es um die Mode in Berlin schlecht stehen. Da helfen nicht die im Buch versammelten Goodwill-Erklärungen und das heftigst praktizierte Schulterklopfen der Modeindustriellen über die „rosigen“ Aussichten auf ein modisches Berlin. Da hilft kein Rückblick auf die Hochzeit der Berliner Konfektion, die mit dem Faschismus und der Verfolgung und Ermordung der jüdischen Bevölkerung ein jähes Ende fand. Und da hilft auch nicht Hanna-Renate Laurien, die ein rüschiges Vorwort beisteuerte: Berlin „will seinen Ruf als Modemetropole verstärken. Da gehen Politik und Mode eine vergnügliche Beziehung ein: Berlin kann und will seine Anziehungskraft noch deutlicher ausstrahlen, seinen Stil erkennbar machen... Hauptstadt und Modemetropole, sie passen zusammen. Mode macht auch Politik ,tragbar‘ ..., ob erträglich, das ist ein anderes Kapitel.“ Petra Brändle

Kurt Geisler: „Modemetropole Berlin & Kurt's Kurzgeschichten“, Das Klar'sche Textil-Archiv, Brannenburg, 1993