: Nicht bloß moralische Reflexe abrufen
■ Nazi-Vergangenheit zeigen: Zwei Filme von Hans-Dieter Grabe im Arsenal
Die Deutschen haben die Opfer der Nazis vergessen, die Täter rehabilitiert. So war es, trotzdem hat sich unsere Erschütterung irgendwann in Routine verwandelt, zumal die Anklage mitunter vor allem einen Generationenkonflikt munitionierte. Wie kann man von damals erzählen, ohne bloß moralische Reflexe abzurufen?
Das Arsenal zeigt zwei Filme des ZDF-Redakteurs Hans-Dieter Grabe, die zu den interessantesten Antworten zählen, die der deutsche Dokumentarfilm gefunden hat. „Mendel Schainfelds zweite Reise nach Deutschland“, gedreht 1971, folgt der Chronologie einer Eisenbahnfahrt von Oslo nach München, anderthalb Tage lang. Mendel S. reist nach Deutschland in der Hoffnung, eine Entschädigung für seine KZ-Haft zu bekommen. Ein einfacher Film: Die Landschaft rauscht vorbei, es wird dunkel, später wieder hell. Dazu erzählt Mendel S. seine Geschichte. Sein Vater, polnischer Jude, liebte die deutsche Kultur und glaubte bis zuletzt an den guten Deutschen. „Es tut mir leid, das sagen zu müssen“, sagt Mendel S., „aber wenn mein Vater nicht so gedacht hätte, hätten wir gerettet werden können.“
Mendel S. berichtet von dem KZ-Terror, dem Sterben, aber es sind weniger die Geschichten, die er zögernd preisgibt, als die Art des Erzählens, die spricht: die Pausen, der starre Blick zum Fenster hinaus, das Zögern, der Griff nach der Zigarette, die immer wieder ausgeht, die Suche nach Worten. Manchmal scheint er sich selbst nicht recht zu glauben, was er erzählt. In diesem Mißtrauen offenbart sich ein Verlust an Weltgewißheit, der unaussprechlich bleibt. Hans-Dieter Grabe hält sich zurück, fragt spärlich, hakt selten nach. Unweigerlich läuft der Film auf eine Klimax zu, einen Ausbruch. Als Mendel S. erzählt, daß er von einem toten Häftling ein Stück Brot nahm, fließen Tränen. „Ich war wie ein Tier“, sagt er. Das Schuldgefühl der Überlebenden, die Unfähigkeit, Worte für die KZ- Erfahrungen zu finden – all dies ist in Gesten, Andeutungen vorhanden. Grabe entwickelt durch Aussparung und Beschränkung eine Dramaturgie des Mitleids: Es ist gerade das Zögerliche, Zurückgenommene, das berührt. Die Ausstrahlung wäre 1971 übrigens fast gescheitert, weil das ZDF fürchtete, der Film würde die nationalen Gefühle der Deutschen verletzten.
1994 hat Grabe aus Tagebüchern eine deutsche Beamtenbiographie rekonstruiert, ein Täterbild: „Er nannte sich Hohenstein“. 1940 wird Hohenstein, so das Pseudonym, Amtskommissar in einer deutsch annektierten Kleinstadt bei Lodz. Ein widersprüchlicher Charakter: in verdrechseltem Thomas-Mann-Deutsch erscheint ihm, was die Nazis den Juden antun, „recht eigentlich“ abscheulich, trotzdem funktioniert er. Grabe scheint mimetisch in diese Figur hineinzukriechen. Wenn wir im Off Hohensteins verzweifelte Beschreibung hören, wie sechs Juden auf dem Marktplatz erhängt wurden, zoomt die Kamera auf ein Foto Hohensteins, ganz dicht, als wolle sie ihm sein Geheimnis entreißen. So entsteht ein zwiespältiges Porträt, das gerade durch das Elliptische, den Verzicht auf Zeitzeugen, die Reduktion auf Fotos und Briefe seine Intensität gewinnt. Als die SS die Poddembicer Juden abtransportiert, ist Hohenstein in Urlaub. Hermann, seinen „Hausjuden“, erschießt die SS auf der Flucht. „Unser kleiner Jude Hermann kann einem direkt leid tun“, schrieb Hohenstein, bevor er in Ferien fuhr; wohl ahnend, daß es bei seiner Rückkehr in Poddembice keine Juden mehr geben würde.
So scheitert, in einer Biographie mikroskopiert, etwas pars pro toto: das deutschnationale Bildungsbürgertum, das sich weigert, im SS- Terror das eigene Zerrbild zu erkennen. „Er nannte sich Hohenstein“ ist insofern auch ein Kommentar zur Neuen Rechten, die von dem moralischen Debakel der konservativen deutschen Elite in der Nazizeit nichts mehr wissen will. Diesen Effekt erreicht Grabe, gerade indem er auf politische Glaubensbekenntnisse verzichtet und sich darauf beschränkt, das Material zur Entfaltung zu bringen. Stefan Reinecke
Sonntag, 16 und 22 Uhr, Arsenal, Welserstraße 25, Charlottenburg
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