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Vorsicht vor zerknirschtem Otto!

■ Beim 0:0 in Frankfurt täuscht Werder Bremen unabsichtliches schlechtes Spiel vor

Frankfurt (taz) – Ehrlichkeit ist oft der schärfste Feind der Aufrichtigkeit – jedenfalls im Fußball. Denn ersteres suggeriert nur letzteres. Otto, von Bremen zu München, vom juvenilen Eisenfuß zum Rilke lesenden Schöngeist des zweiten Lebensalters konvertiert, hat nicht nur die kontrollierte Offensive kultiviert, er schätzt auch die offensive Kontrolle. Besonders vor der Presse. Werder Bremens Leistung beim sonntäglichen 0:0 in Frankfurt war schlecht, „richtig schrecklich, wie ich ehrlich zugeben muß“, gab sich Otto Rehhagel „aufrichtig“ besorgt, „ein ganzes schwaches Spiel von uns.“

Das nun hatte jeder der 35.000 im Stadion gesehen. Meisterschaftskandidat Bremen lief mit fünf Offensivkräften auf – und hatte eine einzige Torchance im ganzen Spiel: Bestschastnich scheiterte in der 49. Minute an Köpke. Der Rest war Ballgeschiebe, unterbrochen von gefährlichen Kontern des No-Name-Produkts vom Main, bei dem mit Jay Jay Okocha, der nationale Pflichten in Nigeria zu erfüllen hatte, nun auch der letzte des einstmaligen Frankfurter Künstler-Ensembles fehlte. Doch Charly Körbels Handwerker stellten sich gegen den Favoriten gar nicht so dumm an. Mit schnellem Direktspiel brachten sie die statische Werder-Verteidigung überraschend leicht in Verlegenheit, allein die bekannte Abschlußschwäche (24 Tore in 28 Spielen) verhinderte Schaden für Bremen.

Auch das räumte Otto R. übrigens ehrlich ein, und Manager Willi Lemke grummelte zerknirscht etwas von einer „erbärmlichen Vorstellung“. Das klingt ehrlich, aufrichtig. Und bringt die penetranten Profifrager in die unkontrollierte Defensive. Wer wollte da an der entwaffnenden „Ehrlichkeit“ noch rummäkeln, wo doch alles gesagt war? Allein – weder wirkte Werder-Willi wirklich zerknirscht, noch hatte irgend jemand das Gefühl, daß sich Rehhagel während des Spiels „nur schwer zusammenreißen“ konnte. Nein, er wirkte nicht nur fußballpolitisch korrekt locker, er wirkte eine Spur zu fröhlich. Verdächtig fröhlich. Tatsächlich nämlich fand Rehhagel das Spiel gar nicht so schrecklich und seine Mannschaft auch nicht besonders schwach. Der verräterische Satz: „Wenn wir nächste Woche gegen Dortmund zu Hause gewinnen, sind wir Erster“, offenbarte, daß er vielmehr mit solchen Spielen Meister werden will.

Im Übermut der Ehrlichkeit wurde Otto Rehhagel dann doch noch aufrichtig: „Die wichtigen Spiele gegen unmittelbare Konkurrenten muß man gewinnen, die anderen darf man nicht verlieren.“ Unentschieden eben, am besten 0:0. Werder Bremen ist drauf und dran, in der Fußball-Bundesliga einen neuen Tatbestand einzuführen: Das Vortäuschen eines unabsichtlichen schlechten Spiels. Matthias Kittmann

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