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Wo Bambi ins Gras beißt

■ Die Künstlerin Isabel Valecka: eine hintersinnige Tierliebhaberin und Comicfreundin/ ein Porträt

Ihr boshafter Charakter fand vor allem in der Küche seinen Ausdruck. Sie kochte ausgezeichnet, da es ihr weder an Sorgfalt noch an Phantasie gebrach, den wichtigsten Gaben einer guten Köchin; aber wenn sie die Hand im Spiel hatte, wußte man nie, was für Überraschungen auf den Tisch kamen.“

(Italo Calvino, „Der Baron auf den Bäumen“)

So sitzen wir in ihrer Küche. Der Tee schmeckt unverdächtig, sogar angenehm kräftig. Auch bei den Keksen keine Überraschung. Allein der Herd, von künstlichem Gemüse hübsch umrankt, birst spürbar vor bösen Geheimnissen. Dann erzählt Isabel Valecka, mit der Unschuldsmiene einer naiven Tier- und Blumenmalerin, von den Kochabenteuern mit ihrem Söhnchen Johann: wie sie Vögel und Nager, das Aas der Straßen, auflesen und auskochen, sorgfältig, bis auf die Knochen; wie sie die Skelette präparieren; wie Johann – „das hier ist seine Mäusesammlung“ – die Knochenfunde auf der Kommode im Kinderzimmer drapiert; wie Valecka selbst schließlich die Knochen zu Kunstzwecken abformt und in frischen Farben bemalt. „Widerlich und zu grell“ fanden das einige Vernissagegäste in der Städtischen Galerie. Aber da hatte Valecka längst ihre ersten Lorbeeren eingeheimst; jetzt befindet sie sich auf dem Zug nach draußen, nach jenseits der Landesgrenzen.

Tiere, Kochkunst, Phantasie und Sorgfalt – und schwarzer Humor: Um diese Dinge kreist Isabel Valeckas Kunst. Mit dem Bild eines Chamäleons kam sie vor sechs Jahren nach Bremen. Im vergangenen Jahr beschloß sie, nunmehr eine Meisterschülerin, ihr Hochschulstudium mit dem Bild eines Rehleins und eines Hasen: Bambi und Klopfer. Abermals sorgfältig auf die Leinwand gemalt, mittels Schablonen. Fast so schön wie bei Disney, nur ein bißchen bunter, flauschiger, fast ungebührlich fröhlich inmitten der gravitätischen Kunstbeiträge vieler anderer Absolventinnen und Absolventen. Wie immer, wenn hinter den Silouetten der putzigen Valecka-Tierchen düstere Abgründe durchschimmern.

Die können bisweilen ziemlich tief sein. Valecka geht den Dingen gern auf den Grund, in der Küche wie im kleinen Atelier gleich nebenan. „Ich versuche, mich inspirieren zu lassen vom Ursprünglichen“, sagt sie. Das können Knochenfunde sein, das können Tiermalereien der Aboriginies sein, Kinderzeichnungen oder Comics.

Ja, doch, Comics. Damit hätte sie an der Bremer Kunsthochschule damals wohl nicht landen können. Aber die bunten Bilder sind für Valecka mehr als bloß triviales Bilderfutter: „Das ist ein sehr gutes Transportmittel für einfache Gefühle“, sagt sie, „da wird sehr schnell was vermittelt, ohne große Botschaft.“ Man denke an Bambi. Mit Johann war sie natürlich auch drin, als der Disney-Klassiker gerade wieder in den Kinos lief; „da wurde manche Träne zerdrückt“.

Einfache Formen, einfache Gefühle – so leicht ist es dann aber doch wieder nicht. Tiere benutzt Valecka als vieldeutige „Bedeutungsträger“. Wenn Bambi und Klopfer, Struppi und Jolly Jumper auf Valeckas Bildern frohgemut ins Gras beißen, „dann werden für die Betrachter jeweils eigene Geschichten mobilisiert“. Und in neues Licht gerückt. Wozu neue Symbole, neue Formen finden, wenn die alten so wunderbar funktionieren?

So überträgt Valecka die Ikonen der Popkultur auf Leinwand, gießt sie in Wachs, nagelt sie ordentlich an die Galeriewand. Doch neben der Sorgfalt stehen eben immer noch lauernd Phantasie und Bosheit. Kaum ein Tierchen gelangt in seiner unversehrten Originalgestalt aufs Bild; in Valeckas Kochatelier wird jedem ihrer Kunstgeschöpfe eine neue Haut verpaßt. Und da sträubt sich Bambi plötzlich ganz wild das Fell. Das Disney-Rehkitz als Fellbesatz, Struppi als quietschblaues Plüschtier, dazu Hundeknochen aus buntbemaltem Gips: Wenn sich sich Bild und Material so schön aneinander reiben, wenn beim Publikum nach der ersten Wiedersehensfreude „ein gewisser Ekel oder Schauder“ aufkommt – dann ist's die Köchin zufrieden; dann ist ihr mal wieder eine Überraschung gelungen und die Gäste winden sich vor Vergnügen.

Soviel Phantasie macht natürlich nicht an der flachen Leinwand halt. Längst läßt Valecka ihre Tier- und Pflanzenwelt in den Raum hineinwachsen. Gipspilze schießen aus den Wänden, Enten aus buntbemalten Brotresten schnappen nach ihrem Publikum. Langsam tastet sich Valecka in die dreidimensionale Fauna und Flora vor, um sie abzuformen und umzudeuten.

Aber ach, mit den Jahren wird es auch nicht leichter: Bis sie mal rausgefunden hatte, daß es das schönste Bambifell beim Lederimporteur für Lenkradbezüge gibt; und hier, diese sorgsam aufgespießten Bienen, bis sie die beim Imker alle eingesammelt hatte. Und dann „muß man da noch jedes Beinchen einzeln fixieren.“

In Bremen wird all das fürs erste nicht zu sehen sein. Nach drei Ausstellungsbeteiligungen sucht Valecka nun auswärts nach neuen Räumen. Ihre erste Einzelschau läuft derzeit in Berlin: in einer Comic-Galerie namens „Grober Unfug“. Ihr Koch- und Wohnatelier in der Bremer Neustadt werden Isabel und Johann aber so schnell wohl nicht aufgeben. „Hinten im Garten“, sie weist aus dem Küchenfenster, „da liegen noch ein Hase und eine Ente begraben“ – und „bis die soweit sind“, kann es noch ein Weilchen dauern. Thomas Wolff

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